Peter Siwon wirft einen Blick zurück in die Anfangsjahre eines Events, der sich in zehn Jahren zu Europas größtem Kongress für Embedded Software entwickelte.
Wie die Zeit vergeht! Dieser Satz aus dem Munde von Eltern, Großeltern und anderen gesetzteren Zeitgenossen hat mich immer genervt, als ich noch jung war und die Zeit bis zum Erreichen der Volljährigkeit zäh dahinkroch.
Nun sage ich es selber. Zum einen, weil die Sturm- und Drangzeit lange vorbei ist. Und zum anderen, weil ich es kaum fassen kann, dass der ESE Kongress jetzt schon zehn Jahre läuft. Ein Zeitraum, der, auf den Menschen übertragen, die Zeit von der Geburt bis zum Eintritt ins Gymnasium überspannt. In 10 Jahren passieren eine Menge Dinge, die natürlich mit der Zeit im Nebel der Vergangenheit verschwinden.
Ich dachte mir, ich gehe mal auf dem Zeitstrahl zurück und rufe mir dabei ein paar interessante und unterhaltsame Daten, Zahlen, Fakten, Episoden, Meilensteine und Höhepunkte ins Gedächtnis zurück. Doch wie es bei Erinnerungen oft ist, liefern sie nicht selten ein verzerrtes oder auch verklärtes Bild der Vergangenheit. Deshalb fange ich vielleicht so an, wie dies bei Geschichten üblich ist, die Mythos und Wahrheit verbinden:
Ein heißes Eisen, das geschmiedet werden will
Es waren einmal zwei Typen, der Hans Wiesböck von der ELEKTRONIKPRAXIS und ich (Peter Siwon von MicroConsult). Wir hatten 2007 einen schönen Traum: ein eigener Kongress für Embedded Software Engineering. Ermutigt durch den Erfolg der eintägigen Praxisforen, die seit mehreren Jahren gemeinsam von MicroConsult und der EP durchgeführt worden waren, strebten wir nicht gerade nach Höherem, aber in jedem Falle nach Größerem.
Doch wer nach Größerem strebt, braucht schlaue und engagierte Köpfe. Ok, wir zwei waren schon schlau – aber nicht schlau genug. Und im Sinne von Diversity sprach vieles für geballte Frauenpower als Gegengewicht zu unserer Machopower. So stießen Martina Hafner von der ELEKTRONIKPRAXIS und Sabine Pagler von MicroConsult zum Kernteam. Konzepte wurden ausgebrütet und Pläne geschmiedet. Das frisch geschmiedete heiße Kongress-Eisen glühte: Ein deutschsprachiger Kongress im Raum Stuttgart sollte es werden. Zielgruppe waren die zahlreichen Softwareentwickler, Projektleiter und technischen Führungskräfte aus der Embedded-Branche in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Alle Mann und Frauen an Bord
Nun brauchten wir nur noch ein paar mutige Geschäftsführer, die sich trauten, das heiße Eisen mit anzupacken – sprich, das Budget zu genehmigen. Werner Gringmuth, damals noch Geschäftsführer von MicroConsult, und Stefan Rühling, damaliger Geschäftsführer von Vogel Business Media, erwiesen sich als risikobereite Unternehmer.
Los ging’s. Das Projekt wurde akribisch geplant, und ein riesiger Aufgabenberg türmte sich vor dem Team. Weitere kreative und tatkräftige Unterstützer bestiegen das Boot. Statt Schmieden war jetzt schweißtreibendes Rudern und Kurshalten angesagt. Eine Website wurde aus dem Boden gestampft, Broschüren und Flyer wurden entworfen (an dieser Stelle gilt unserer besonderer Dank unserem Art Director Florian Gmach), ein Beirat konstituiert, Prozesse entwickelt, Checklisten und Leitfäden geschrieben, und, und, und…
Und ab und zu stieg in dem einen oder anderen Kopf der Gedanke auf: Hoppla, das ist ja wesentlich mehr Arbeit als befürchtet! Natürlich auch, weil so manches nicht auf Anhieb klappte. So wurde aus dem Ruderboot manchmal so etwas wie eine Galeere, in der zum harten Takt der Trommel gepullt wurde. Im Gegensatz zur historischen Galeere schlugen wir allerdings masochistisch selbst den Takt.
Neben den intensiven Aktivitäten unter Deck, um das Boot in Fahrt zu bringen, waren wir gleichzeitig damit beschäftigt, zahlungskräftige Passagiere zur Mitfahrt zu begeistern. Erste Gäste an Bord waren die Firmen Axivion und Green Hills, die auch gleich die Luxussuite, sprich Goldsponsoring, buchten. Ebenfalls gleichzeitig begann die Suche nach Referenten mit spannenden Beiträgen für Vorträge und Seminare. Gunther Dueck, ein populärer IBM-Querdenker, konnte für die Keynote gewonnen werden.
Nach und nach füllten sich die Kabinen mit Sponsoren, Ausstellern und Referenten. Endlich stand das Programm: 3 Tage, eine Keynote, 12 Seminare, 63 Vorträge. Im September 2008 stach der Kongress in See, um verschiedene Häfen anzulaufen und weitere Passagiere aufzunehmen. Die intensive Werbung nach Kongressbesuchern startete mit der ersten Programmbroschüre.
Das große Zittern
Jetzt wurde es richtig spannend! Geht das Konzept auf? Werden wir dem Vertrauen der Sponsoren, Aussteller und Referenten gerecht? Top oder Flop? Die Ruhe vor dem (An-) Sturm oder Absaufen bei Flaute. Das Faxgerät wurde zum Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit.
Ich weiß noch, wie wir das Fax innerlich angefleht haben, endlich die 1. Anmeldung auszuspucken. Ungeduldig nervten wir unsere Techniker mit Fragen wie: „Seid Ihr sicher, dass unser Telefon und Internet funktionieren?“ Es war nervenzerfetzend! Was haben wir gejubelt, als sie kam – die 1. Anmeldung, tadaa! Es wurden insgesamt 553 Teilnehmer aus 274 Unternehmen. Das war mehr, als wir zu träumen gewagt hatten. Die Galeere verwandelte sich für uns in ein stolzes Segelschiff mit geblähten strahlendweißen Segeln.
Stunden der Wahrheit
Jetzt kam die nächste Hürde: die Durchführung vom 08.-10.12.2008 in Sindelfingen. Wir trafen auf ein hilfsbereites, hochengagiertes Team der Stadthalle Sindelfingen, die wir als Event Location ausgewählt hatten. Und was soll ich sagen? Es klappte fast alles hervorragend – und alles, was nicht so klappte, konnten wir gut hinbiegen, denn gute Vorbereitung schafft Raum für Improvisation. Sponsoren, Aussteller, Referenten und Teilnehmer bestärkten uns mit ihrem Feedback: Wir sind auf dem richtigen Kurs. Glücklicherweise kam jetzt Weihnachten, denn wir waren alle ziemlich geschafft vom Schmieden, Rudern und Freuen.
2009 konnten wir das gute Ergebnis des Vorjahres trotz der dramatischen Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise bestätigen und die Qualität steigern. Das Schiff schien auch robust genug zu sein, um Konjunkturkrisen zu überstehen. Ermutigt durch diesen vielversprechenden Start machten wir uns an die Arbeit für den ESE Kongress 2010. Nachdem wir nun viel Erfahrung gesammelt hatten, galt es, die Abläufe zu optimieren und die Infrastruktur zu professionalisieren, denn vieles war bis dahin noch relativ hemdsärmelig gelaufen – fehlende Tools wurden durch Optimismus und Einsatz wettgemacht.
Wir entwickelten mit unserem Partner mexperts ein datenbankgestütztes Webportal, über das alle Einreichungen von Vorträgen, die Bewertungen durch den Kongressbeirat und die Verwaltung von Referenten und Programm effizient erledigt werden konnten. Dies war eine wichtige Voraussetzung, um mit der Flut von Einreichungen zurechtzukommen und die Mitarbeit von immer mehr Spezialisten im Beirat zu erleichtern. Die Teilnehmerzahl wuchs um mehr als 40%, und wir konnten die Qualität dank der vielen engagierten Beiratsmitglieder, die auch als Moderatoren verschiedener Tracks mitwirkten, nochmals steigern.
Doch nun stießen wir an die Grenzen dessen, was sich in 3 Tagen in der Stadthalle noch umsetzen ließ. So beschlossen wir, ab 2011 den Kongress auf 5 Tage und insgesamt 119 Einzelveranstaltungen zu erweitern, um die hohe Nachfrage befriedigen zu können. In den Folgejahren wurde an vielen Details, wie dem Ausstellungskonzept, dem Timing und dem Rahmenprogramm gefeilt, und auch ein Best Speaker Award wurde ins Leben gerufen. 2015 durchbrach die Teilnehmerzahl mit über 1100 Teilnehmern erstmals die 1000er-Marke. An dieser Stelle danke ich ganz herzlich den Kolleginnen aus unserem Servicebüro und den vielen fleißigen Helfern und Unterstützern, ohne die wir vor, während und nach dem Kongress sang- und klanglos abgesoffen wären.
Die Mischung macht’s
Unser Ziel war und ist es, den Teilnehmern eine gute Mischung aus der Vielfalt des Embedded Software Engineering zusammenzustellen. Einerseits mit immer neuen Facetten von Dauerbrennern wie Implementierung, Architektur, Echtzeit, Test, Qualität, Sicherheit, Prozessgestaltung. Andererseits werden immer wieder neue Trendthemen wie IoT, Industrie 4.0, Security, Machine Learning oder Künstliche Intelligenz aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Wir machen auch vor juristischen Inhalten und Management- oder Führungsthemen nicht halt, wenn sie für unsere Zielgruppe von Nutzen und Interesse sind.
Die Seminare, Vorträge, Diskussionen und Fachgespräche bieten damit viel Gelegenheit, verschiedene fachliche Tiefen auszuloten und den Horizont zu erweitern. Der Kongress liefert reichlich Impulse für neue Wege sowie Anlässe für nachdenkliches Hinterfragen oder beruhigende Bestätigung eingeschlagener Wege. Die vielen Wiederholungstäter, sprich Stammbesucher, sind ein gutes Indiz dafür, dass sich der Besuch des ESE Kongress lohnt.
Es wäre nicht gerecht, hier nur die Namen der bekanntesten Keynote-Sprecher wie Gunther Dueck, Jochen Ludewig oder Julian Nida-Rümelin zu nennen, mit denen sich der Kongress schmücken durfte. Sie gaben mit Sicherheit vielen Teilnehmern interessante und wichtige Impulse. Doch unsere besondere Bewunderung und unser Dank gilt den Sprechern, die – obwohl es nicht ihre Hauptbeschäftigung ist, Vorträge zu halten – bereit sind, ihr Wissen zu teilen und sich einem Fachpublikum zu stellen. Einige von ihnen haben es als Best Speaker sogar in die ESE „Hall of Fame“ geschafft.
Nicht zu vergessen: Unsere legendären Kicker-Turniere am Dienstagabend bei der Entwicklerparty, die tollen Unterhaltungs-Shows am Mittwochabend und die entspannten Gespräche bei einem gemütlichen Bier oder einem Glas Wein nach anstrengenden Kongresstagen. Nicht ohne Grund wird der ESE, wie Insider zum Kongress sagen, auch „Familientreffen der Embedded-Softwarebranche“ genannt.
Wie geht es weiter?
Jedes Jahr stellen wir uns diese Fragen: Wie geht es weiter? Was behalten wir bei? Was wollen wir verändern? Wie werden wir den Ansprüchen der Zukunft gerecht? Eines ist dabei sicher: Unser Anspruch bleibt es, Qualität und Vielfalt zu liefern sowie technische und menschliche Impulse zu setzen. Auch ist es uns wichtig, die entspannte, familiäre Atmosphäre zu erhalten und gleichzeitig die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, um den Wert unserer Informations- und Kommunikationsangebote zu steigern: besser, schlauer, menschlicher durch sinnvolle Digitalisierung und persönlichen Austausch. Das klingt wie ein gutes Motto für die Zukunft. Lassen wir uns überraschen, was uns dazu einfällt.
Weiterführende Informationen
MicroConsult auf dem ESE Kongress
Training & Coaching rund um das Thema Embedded Software Engineering