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Denkanstöße 38 - Projekterfolg durch emotionale Kultur

Nehmen Sie sich doch ein bisschen Zeit und denken Sie über folgende Fragen nach: Wo würden Sie auf einer Skala von 0 bis 10 (0 = sehr klein, 10 = sehr groß) folgende Gefühle einordnen, die Sie derzeit mit Ihrer Arbeit überwiegend verbinden? Die Gefühle sind Freude, Frust, Zugehörigkeit, Isoliertheit, Überforderung, Tatendurst. Nehmen Sie sich dazu ein Blatt, zeichnen Sie eine Skala von 0 bis 10 und markieren Sie die Stellen gemäß Ihrer Gefühlszustände. Wenn Sie Lust haben, können Sie noch weitere Gefühle skalieren, die Ihnen auch wichtig sind: Neugier, Angst, Wut, Spaß, ...

Haben Sie das? Sehr gut!

Nächste Frage: Wie sehr, glauben Sie, beeinflussen diese Gefühlszustände Ihre Motivation, Ihre Verantwortungsbereitschaft oder Ihre Loyalität? Gar nicht, gering, stark, sehr stark?

Haben Sie das? Super!

Letzte Frage - und dann erfahren Sie, warum ich Sie heute so einspanne: Wie beeinflusst Ihre Gemütslage die Arbeitssituation Ihrer Kollegen? Gar nicht, gering, stark, sehr stark?

Jetzt haben Sie es geschafft. Danke fürs Mitmachen!

Vielleicht war Ihnen vorher schon klar, dass es Zusammenhänge zwischen den Gefühlszuständen, die wir mit unserem Arbeitsplatz verbinden, und Faktoren wie Leistung, Verantwortungsbereitschaft oder Loyalität gibt. Ebenso würden mir, denke ich, die meisten von Ihnen zustimmen, dass Ihre Laune nicht ohne Wirkung auf die Gefühlszustände Ihrer Kollegen bleibt, vor allem, wenn Sie der Chef sind.

Diese Zusammenhänge sind offensichtlich noch nicht in vielen Unternehmen angekommen, sonst würden sich nicht so viele Forscher die Mühe machen, das emotionale Kostüm von Mitarbeitern zu durchleuchten. Und heureka, was kam dabei heraus? Das, was Sie vermutlich auch herausgefunden haben oder Ihre Kinder Ihnen geantwortet hätten: Wenn Du schlecht drauf bist, macht das Spielen mit Dir nicht so viel Spaß.

Wie dem auch sei, ist es nicht beruhigend, wenn der gesunde Menschen- oder Kinderverstand auf hochoffizielle, repräsentative und akademisch belastbare Weise bestätigt wird. Ich fasse die Ergebnisse der Forschung kurz sinngemäß zusammen (wer es ausführlich will, kann alles gerne im Harvard Business Manager Magazin vom März 2016 nachlesen):

Neben der kognitiven Kultur spielt die emotionale Kultur in den Unternehmen eine bedeutende Rolle. Die kognitive Kultur drückt sich beispielsweise im Verhaltenskodex oder der sogenannten Mission eines Unternehmens aus. Die emotionale Kultur spiegelt sich darin wider, welche Aufmerksamkeit menschlichen Bedürfnissen wie Zugehörigkeit oder Anerkennung wirklich geschenkt wird. Sie wird im Gegensatz zur kognitiven Kultur eher körpersprachlich, mimisch und empathisch ausgedrückt.

Ich meine hier nicht die ein bis zweimal im Jahr inszenierten Unsere-Mitarbeiter-sind-unser-wichtigstes-Kapital-Shows, mit denen man die über die Monate angehäuften Defizite im Miteinander aufzuwiegen versucht. Ich rede von den vielen kleinen ehrlichen, zwischenmenschlichen Gesten, die das tägliche Miteinander prägen. Die alltäglichen kleinen Freuden, die wir mit unserer Arbeit verbinden, das Mitgefühl, die Fürsorge und die Wertschätzung der Kollegen und Chefs, die wir spüren, oder das Vertrauen, das sie uns schenken, machen uns zufriedener und stärken unsere Loyalität. Doch damit nicht genug: Sie wirken sich u.a. auch positiv auf die Stressbelastbarkeit und den Krankenstand aus.

Wie kommt so eine Kultur guter Gefühle zustande?

Zum einen wird sie von den Führungskräften vorgelebt und bei den Mitarbeitern bestärkt, zum anderen werden Mitarbeiter ausgewählt, die in diese Kultur passen. Außerdem sind Gefühle wie gute Laune und Zuversicht auch ansteckend. Schließlich werden Menschen, die weniger von der Bedeutung emotionaler Rahmenbedingungen halten, zumindest mitspielen, wenn es ihren beruflichen Ambitionen nutzt. Nicht selten kommt dann der Appetit beim Essen oder in diesem Falle beim Wohler-Fühlen. Sobald eine gefühlte Mehrheit diese Kultur trägt, prägt sie mehr und mehr das Verhalten und die Stimmung im Unternehmen. Menschen, die diese Kultur nicht mittragen können oder wollen, werden dort immer seltener arbeiten. Soweit meine Zusammenfassung.

Das soll nicht heißen, dass wir eine Friede-Freude-Eierkuchen- oder reine Spaß-Kultur anstreben sollten, in der Konflikte ein Tabu sind. Mitarbeiter und Führungskräfte müssen auch nicht zu Gute-Laune-Animateuren mutieren oder ihr Herz auf der Zunge tragen. Gefühlen wird lediglich ein angemessener Raum in den Unternehmen und Projekten eingeräumt. Aufgesetzte Emotionalität ist wenig hilfreich, wenn sie als plumpe Manipulation im Sinne egoistischer Motive entlarvt wird. Ebenso können ungehemmte Gefühlsausbrüche ohne Berücksichtigung der Folgen für Beziehungen und Projekte großen Schaden anrichten.

Deshalb ist hier das Wort Kultur absolut angemessen: Es geht hier um kultivierte Emotionalität. Eine tragfähige emotionale Kultur bedeutet auch, dass sie Konflikte aushalten, klären und lösen kann. Gerade in schwierigen Situationen zeigt sich, was diese Kultur tatsächlich wert ist. Sind wir auch dann in der Lage, wertschätzend, mitfühlend und vertrauensvoll miteinander umzugehen, wenn es unseren ganzen Einsatz verlangt? Die Projektarbeit in Matrixorganisationen, die von Natur aus immer wieder in Konfliktsituationen führt, ist ein guter Maßstab dafür, wo Unternehmen emotionskulturell stehen. Wie gehen die Menschen in Projekten miteinander um, wenn der Druck die Schmerzgrenze erreicht oder überschreitet?

Denkanstoss-38

Was mich ein bisschen betrübt, ist, dass es Unternehmen und Führungskräfte gibt, die erst solche Studien brauchen, um sich auch mit ihrer emotionalen Kultur auseinanderzusetzen. Was noch schlimmer ist: Sie brauchen den Nachweis eines direkten unternehmerischen Nutzens, um sich über den Gefühlszustand ihrer Mitarbeiter und über ihren eigenen Gedanken zu machen. Wer etwas ganzheitlicher über den Unternehmenstellerrand schaut, sollte doch erkennen, dass Menschen, die sich als unternehmerisches Kanonenfutter fühlen, über kurz oder lang keine Basis für ein tragfähiges Wirtschafts- oder Gesellschaftssystem sein können.

Oder sehe ich das falsch? Ich freue mich über Ihre Kommentare - am besten per E-Mail an denkanstoss@microconsult.de.

Peter Siwon

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