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Denkanstöße 37 - Halo, wie ist Dein Projekt gelaufen?

Ich muss Sie leider enttäuschen. "Halo" ist kein Schreibfehler, sondern das englische Wort für Heiligenschein. Schreibfehler passieren mir zugegebenermaßen sehr oft. Sie sind der Zumutung meiner Rechtschreib- und Interpunktionsschwäche nur deshalb nicht ausgesetzt, weil meine Artikel von geduldigen Orthographie-Gurus wie Sabine Pagler Korrektur gelesen werden, die mich so vor den Folgen des Halo-Effekts bewahrt. Er wurde erstmals von Edward Thorndike beschrieben.

Thorndike stellte fest, dass Menschen dazu neigen, allgemeine Eindrücke unzulässigerweise auf konkrete Eigenschaften zu übertragen. So werden gut aussehende Menschen meist spontan auch als intelligenter, charmanter, fähiger, etc. eingeschätzt. Sie werden jetzt einwenden: So ein Blödsinn, ich kenne jede Menge attraktiver Dumpfbacken und unscheinbarer Intelligenzbestien. Stimmt, doch wie würden Sie diese Personen einschätzen, bevor sie den Mund aufmachen oder durch ihr Verhalten zeigen, was sie draufhaben oder auch nicht?

Der Halo-Effekt wirkt nicht nur bei Personen, sondern auch bei Unternehmen und Projekten. Wenn die Leistung eines Unternehmens oder eines Projekts top ist, dann strahlt diese Aura des Erfolgs in unserer Wahrnehmung auch auf andere Eigenschaften von Unternehmen und Projekten ab: die Kultur, die Genialität der Führung, die Methoden, den Prozess oder die Marke. Im Licht des Erfolgs glänzt, glitzert und funkelt alles. Legenden und Anekdoten beginnen sich schnell emporzuranken. Der Nimbus der Menschen, denen wir den Erfolg zuschreiben, lässt sie zu Helden erstrahlen. Nimbus ist übrigens das lateinische Wort für Heiligenschein. Menschen lieben Heldengeschichten. In der Wirtschaft sind das die von-der-Garage-zum-milliardenschweren-Konzern-Geschichten, quasi Aschenputtel für Manager oder für Disney-Gebildete: Cinderella für Manager.

Clevere Autoren und Berater wissen, dass sich diese modernen Märchen sehr gut als Erfolgsratgeber getarnt verkaufen lassen, in denen rückblickend die "Schritte zum Erfolg" analysiert und beschrieben werden. Doch dieser Rückblick wird in der Regel durch den Halo-Effekt verzerrt, weil im Lichte des Erfolgs vieles glänzt, was kein Gold ist. Außerdem wird gerne nur das betrachtet, was im Spot des Erfolgsscheinwerfers zu sehen ist. Es werden zwar Erfolgsfaktoren identifiziert, doch es wird versäumt zu überprüfen, wie oft sie in anderen Fällen eben nicht zum gewünschten Ergebnis führten: Wäre dasselbe Team oder derselbe Projektleiter in anderen Projekten genauso erfolgreich? Auch werden Ursache-Wirkungs-Ketten zusammengesetzt, bei denen nüchtern betrachtet nicht eindeutig ist, was Henne und was Ei ist: Wird der Projektleiter als genial gesehen, weil er Erfolg hatte, oder war seine Genialität die Ursache für den Erfolg? Faktoren wie die eingegangenen Risiken oder glückliche Rahmenbedingungen, die außerhalb des Einflusses der Beteiligten lagen, werden gerne übersehen.

Ich befürchte, dass viele dieser retrospektiven Erfolgsanalysen auf statistisch schwachen Beinen stehen, weil die betrachteten Daten weder repräsentativ noch frei von Einflüssen durch den Halo-Effekt und andere verzerrende Effekte sind. Und davon gibt es viele!

Wie kann eine Analyse von einer Handvoll Erfolgsgeschichten zu einer allgemeingültigen Aussage über Erfolgsrezepte führen? Da man die komplexe Realität von Märkten, Unternehmen und Projektarbeit nicht in ein plausibles, verständliches Erfolgsrezept verwandeln kann, wird gnadenlos vereinfacht. Irgendwann kommt dann eine Geschichte heraus, die sich gut erzählen lässt und das beruhigende Gefühl vermittelt, dass Erfolg nur eine Folge der beharrlichen Verfolgung des herausdestillierten Erfolgsrezepts ist: ein Halo-Märchen.

Doch der Halo-Effekt wirkt ebenso umgekehrt, auch wenn das seinem Namen nicht gerecht wird.

Wehe, wenn der Held auf dem Weg zum Erfolg strauchelt und in den Dreck fällt. Schwupps, der Nimbus ist verschwunden, und da liegt er nun am Boden: ein ganz normaler Mensch! Den kann man dann gnadenlos in der Luft zerreißen. Er wird quasi dafür bestraft, dass ihm ein Heiligenschein verpasst wurde und er sich eine Weile genüsslich darin sonnen durfte.

Jetzt wird aus dem Helden ein Sündenbock, und aus dem Heiligenschein werden Hörner. Im Extremfall wird dieser Mensch geradezu verteufelt. Und wenn jemandem Hörner aufgesetzt wurden, verändert sich auch die Wahrnehmung seiner Eigenschaften: Aus Mut wird Leichtsinn, aus Selbstsicherheit wird Größenwahn, aus Charisma wird Trugbild, usw. Der vermeintliche Held muss nun als Sündenbock geopfert werden, um die Illusion des Märchens vom Erfolgsrezept zu erhalten.

Ich finde Märchen und Geschichten großartig, und es ist eine große Kunst, sie so gut zu erzählen, dass sie in uns lebendige Bilder wecken. Ist es nicht herrlich, sich so inspiriert von seiner Phantasie treiben zu lassen?

Bei wichtigen Entscheidungen und Einschätzungen sollten wir allerdings Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden können. Doch wie soll das gehen? Ich werde Ihnen jetzt natürlich kein Erfolgsrezept geben, sondern bestenfalls eine Sichtweise anbieten: Wehren Sie sich gegen Helden- oder Sündenbockmärchen, denn sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Eine Illusion, die uns in Projekten nichts bringt. Betrachten Sie stattdessen beispielsweise gemeinsam mit Kollegen, Kunden und Anwendern die Ereignisse in den Projekten abwechselnd aus der Sicht des möglichen Erfolgs und der des ebenso denkbaren Misserfolgs. Überlegen Sie, welche Chancen und Risiken sich aus diesen verschiedenen Perspektiven ableiten lassen und wie Sie sie beeinflussen können.

Und dann treffen Sie Ihre Entscheidungen in dem Bewusstsein, dass die Wirkung einer jeden Maßnahme durch derzeit nicht vorhersehbare Faktoren beeinflusst werden kann. Das kommt der Realität jedenfalls näher als Halo-Märchen.

Denkanstoss-37-Halo 

Der Halo-Effekt in Projekten: Der Grat zwischen verklärtem Helden
und verteufeltem Sündenbock ist oft schmaler als man annimmt
(Bild: foto art Elisabeth Wiesner)

 

Gerne sende ich Ihnen ausführlichere Informationen zum Halo-Effekt und anderen Management-Illusionen. Eine E-Mail mit dem Betreff "Halo" an denkanstoss@microconsult.de genügt.

Peter Siwon

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