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Denkanstöße 35 - Wie Sie mit Projektfrust besser klarkommen

Sie – ja, Sie - meine ich! Sie gehören doch auch zu den Abenteurern im Technologiedschungel. Nicht so bescheiden! Sie gehören sicher zu den mutigen Menschen, die sich immer wieder neu in diesen Dschungel wagen. Sie werden möglicherweise im Gestrüpp von Leiterbahnen gefangen oder im Codesumpf langsam versinken. Kleine und große Bugs saugen wie Parasiten Zeit und Geld aus Ihrem Projekt. Und wenn Sie dann erschöpft, aber immerhin lebend Ihr Ziel erreichen, fragt Ihr Chef, warum das nicht schneller gegangen ist.

Warum tun wir uns so etwas an? Die uralte Triebfeder der Menschheit – Neugierde gepaart mit unseren Urinstinkten des Überlebens – wirkt immer noch. Die Motive mögen archaisch sein, aber sie wecken in uns immerhin die geheimen Kräfte, die Kolumbus über den Atlantik und die Amerikaner auf den Mond getrieben haben.

Die Welt der Elektronik bietet insbesondere Projektleitern großartige Möglichkeiten, ihre Abenteurer-Qualitäten zu erproben. Für jeden ist etwas geboten: für die Draufgänger, die scheinbar unbesteigbare Applikationsfelsen frei erklettern, für penible Planer, die mit ausgeklügelter Logistik Karawanen durch die unwirtlichsten Systemlösungswüsten führen.

Ist es nicht schön, ein Abenteurer oder Entdecker zu sein? Es lebe der Urtrieb! Natürlich wird auch gestöhnt und gejammert. Und so mancher fragt sich, wenn er in stinkender Codebrühe watet, ob es gut ist, so ein Projekt zu leiten. Aber was wäre ein Abenteuer ohne Leidensgeschichten, ohne die Narben, die man dem Kollegen stolz zeigen kann? Wie fad wäre die Projektleitung ohne die alten Geschichten, die beim wärmenden Kaffee in der Pause die Runde machen und die jungen Greenhorns vor Ehrfurcht erblassen lassen: „Weißt Du noch, damals als uns die Steuerung um die Ohren geflogen ist und wir dann über Nacht aus alten Radios und einer Kaffeemaschine eine neue gebaut haben? Hey, die läuft heute noch.“

Ein Problem ist eine subjektive Konstruktion des Verstandes

Gut, im Nachhinein sind die meisten Probleme und Krisen willkommener Gesprächsstoff, doch was tun wir, wenn wir in der Bredouille stecken, um mit der Verzweiflung und Frustration besser fertig zu werden?

Hier eine Sichtweise, die Ihnen vielleicht hilft: Ein Problem ist eine sehr subjektive Konstruktion unseres Verstandes. Es ist eine von vielen Perspektiven, die wir einer Situation zuschreiben können. Beispielsweise kann ein Projektleiter die Einwände eines kritischen Kollegen oder Kunden als lästige Störung, aber auch als hilfreichen Hinweis interpretieren. Nicht selten empfinden Menschen Einwände besonders deshalb als lästig, wenn sie sich ertappt fühlen und es ihnen weniger um das Projekt als um das Rechthaben geht.

Die sogenannte "Problemperson" legt den Finger in eine Wunde des Egos, die mit dem Projekt nichts zu tun hat: Die meisten Menschen, vor allem wenn sie Führungsaufgaben wahrnehmen, haben nun mal gerne Recht. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich auch zu den Kandidaten gehöre. In solchen Situationen hilft mir dann folgende Frage: Welche versteckte Ressource oder Chance steckt hinter diesem Problem oder Hindernis?

Bei der Suche nach der Antwort habe ich schon tolle Entdeckungen gemacht. Das Problem ist möglicherweise nicht die vermeintliche Problemperson, sondern meine eigene Haltung zum Projekt. Wenn das Projekt wichtiger ist, als das Rechthaben, verschwindet wie von Zauberhand das Problem. Diese neue Haltung erschließt wertvolle Ressourcen.

Die Kollegen werden offener und bereitwilliger über alternative Lösungswege oder mögliche Risiken sprechen, wenn ich ihre Beiträge würdige, anstatt sie wie eine Majestätsbeleidigung abzuwehren. Gleichzeitig gewinne ich als Führungskraft an Souveränität, weil ich das tue, was gute Führung ausmacht: Ich kombiniere die Erfahrungen und Ideen aller Beteiligten im Sinne des gemeinsamen Ziels.

Meine Aufgabe als Projektleiter ist es nicht, Recht zu haben, sondern gemeinsam mit meinen Mitarbeitern erfolgreich zu sein. Aus diesem Willen, meine Führungshaltung zu korrigieren, erwächst die Frage nach dem Wie und führt möglicherweise zu folgender Einsicht: Künftig binde ich meine Mitarbeiter von Anfang an stärker in den Lösungsprozess ein, statt ihnen fertige Lösungen aufzutischen.

Eine weitere Entdeckung kann folgende sein: Ein Hindernis im Projekt führt dazu, dass ich und das Projektteam gezwungen sind, sich intensiver mit dem Ziel des Projekts und den eigenen Fähigkeiten auseinanderzusetzen. Dies kann für den weiteren Verlauf große Vorteile bringen, wenn wir es zum Anlass nehmen, das Ziel noch plakativer herauszuarbeiten, Schwächen abzustellen und Stärken konsequent zu nutzen.

Wenn Sie also auf ein Problem stoßen, machen Sie sich auf Entdeckungsreise nach neuen Perspektiven und versteckten Ressourcen. Es lohnt sich!

Der Extremfall ist das gescheiterte Projekt. Es scheint das Hindernis für die weitere Karriere zu sein. Das trifft tatsächlich zu, wenn wir die hinter dem Scheitern versteckten Ressourcen nicht erkennen und auch für andere sichtbar machen: die Erfahrungen, die ins nächste Projekt einfließen; die Projektteile, die tatsächlich funktioniert haben; die Wissenslücken, die entdeckt wurden und nun gezielt geschlossen werden können; wichtige neue Kriterien für die künftige Projektplanung, usw.

Leider gerate ich zuweilen, wenn ich in meinem Drang zur Lösung unversehens gegen ein Hindernis knalle, so aus der Fassung, dass mir die rettende Frage nach den versteckten Ressourcen erst mit Verzögerung einfällt. Bis dahin habe ich allerdings schon durch meine Ungeduld einiges an Porzellan zerschlagen. Das ist peinlich, gerade weil ich es nicht nur besser weiß, sondern ständig auch anderen diesbezüglich Ratschläge erteile.

Doch die Frage nach den versteckten Ressourcen ist auch dann noch sinnvoll, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Mögliche Antworten sind: Solche Situationen helfen dabei, meine Toleranz und mein Verständnis für andere Menschen zu entwickeln, die wie ich ab und zu gegen besseres Wissen handeln. Sie liefern Stoff für spannende Geschichten oder Kolumnen wie diese. Das Beste daran: Sie zeigen mir, dass meine Entdeckungsreise in Sachen versteckte Ressourcen immer sinnvoll ist und nie enden wird. Ist das nicht eine großartige Aussicht für neugierige Menschen wie Sie und mich?

Projektfrust

Auch wenn es sich oft nicht so anfühlt, viele Hindernisse
sind versteckte Chancen.
(Bild: foto art Elisabeth Wiesner)

Wenn Sie Interesse an einem Fragenkatalog zur Entdeckung versteckter Ressourcen haben, senden Sie eine Nachricht mit dem Betreff "Ressourcen" an denkanstoss@microconsult.de. Ich freue mich auch über Ihre Anregungen und Rückmeldungen zu diesem Thema.

Peter Siwon

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