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Denkanstöße 23 - Bleiben Sie auf Augenhöhe!

Sie kennen solche Szenen wahrscheinlich auch. Ist diese Art des Umgangs dem Projekterfolg förderlich? Nein! Gibt es bessere Alternativen? Ja! Wenn Sie, was ich sehr hoffe, mehr dazu wissen wollen, dann lesen Sie bitte weiter.

Ich freue mich, dass Sie sich ein bisschen Zeit nehmen, um meine Argumentation zu erfahren. Sie haben damit bereits einen wichtigen Schritt hin zu alternativen Verhaltensmustern gemacht: Sie sind bereit, sich Argumente anzuhören bzw. anzulesen.

Schauen wir uns die Szenen etwas genauer an. Was könnte die Vorgeschichte von Szene 1 sein? Denkbar ist folgendes: Der Chef und Macher, nennen wir ihn Ludwig (sein Lieblingsspruch: "Le projet c'est moi!"), 44 Jahre, hat ein Meeting einberufen. Vordergründig will er mit seinem Team die Vorgehensweise diskutieren, ggf. anpassen und beschließen. Tatsächlich weiß er schon genau, wie es laufen soll. Er will nur, dass die Anwesenden ehrfürchtig seiner Genialität huldigen und sein Opus brav abnicken. Doch da wagt es tatsächlich ein Schlaumeier, offen Kritik zu üben, Einwände geltend zu machen und - Ludwig fasst es kaum - auch noch einen Gegenvorschlag aus dem Hut zu zaubern. Der Querulant ist ein selbstbewusster 29jähriger Entwickler, nennen wir ihn David (sein Lieblingsspruch: "Wenn ich im Labor bin, mache ich eh was ich will!"). Die von David benutzte Einleitung "Das geht so nicht!" lässt den Adrenalinspiegel Ludwigs schlagartig in die Höhe schnellen.

An dieser Stelle könnte die Szene 1 in die Szene 2 übergehen: Sowohl Ludwig als auch David heben verbale Schützengräben aus, verminen das Gelände mit kleinen Sticheleien und scharen ihre Verbündeten um sich. Aus diesen Kampfpositionen werden dann munter die "Argumente" abgeschossen. Vom kleineren Scharmützel ("nach meiner über 20jährigen Erfahrung" contra "neue Technologien erfordern neue Methoden") bis zu ausgewachsenen Schlachten ("Sie verschwenden wertvolle Zeit durch Ihre Sturheit!" contra "Wozu haben Sie mich denn als Softwarearchitekten eingestellt, wenn Sie alles besser wissen?") ist alles geboten. Ludwig fürchtet um seine Autorität, denn er spürt, dass er auf der fachlichen Ebene nicht mithalten kann. Er holt deshalb zum entscheidenden Schlag aus: "Ich trage hier die Gesamtverantwortung, deshalb wird es so gemacht, wie ich es will. Wem das nicht passt, der kann ja gehen. Aus, basta!".

Sicherlich läuft es nicht immer so krass, doch nicht selten siegt die mächtigere Position und nicht die Vernunft. Dabei handelt es sich jedoch in den meisten Fällen um einen Pyrrhussieg, denn Besiegte geht dann in den Untergrund und verfolgen ihre Überzeugung ("So geht das nicht!") mit subtiler Guerillataktik. Das müssen keine bewussten Sabotageakte sein. Unsere Psyche verfügt über viele unbewusste Strategien, um sich für die Attacken gegen unser Ego zu revanchieren: Konzentration auf Misserfolg, Demotivation, innere Kündigung, Dienst nach Vorschrift, Krankheit, usw. Oder David schmeißt hin und kündigt. Der Macher verliert genau den, den er eigentlich für den Projekterfolg am notwendigsten braucht. Ich denke, das Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, über alternative Verhaltensmuster auf beiden Seiten nachzudenken.

Positionen und Motive

Kern des Problems sind sehr häufig zwei Verhaltensweisen: 1. der Drang, die eigene Position durchzusetzen und 2. die mangelnde Bereitschaft, die Motive anderer Menschen herauszufinden und zu respektieren. In unserem Beispiel handelt Ludwig aus der Position "Ich bin der Boss und muss es deshalb besser wissen" und David aus der Position "Ich bin der Experte und muss es deshalb besser wissen". Es ist, so glaube ich, nachvollziehbar, dass aus diesen Positionen heraus keine Einigung stattfinden kann, wenn es unterschiedliche Meinungen zur Vorgehensweise gibt. Solange beide Seiten ihre Positionen verteidigen, gibt es nur eine Lösung: Ober sticht Unter. Der Mächtigere siegt.

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Doch die wahren Machtverhältnisse in Hightech-Unternehmen sind nicht so einfach verteilt wie in verstaubten feudalen Systemen, in denen oben die gebildete Führungselite anschaffte und unten das dumm gehaltene Fußvolk schuftete. In modernen Unternehmen tun die Führungskräfte gut daran zu verstehen, dass es eine Macht der Experten gibt, ohne die sie selbst auf Dauer machtlos sind.

Die Lösung liegt darin, die Position und die Bedürfnisse des anderen zu respektieren und die Einigung unter dem Dach eines gemeinsamen Interesses zu suchen. Wer sich so auf Augenhöhe begegnet, hat die besseren Erfolgschancen.

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Wie wären wohl die Szenen verlaufen, wenn Ludwig und David das gemeinsame Interesse - den Projekterfolg - in den Fokus ihrer Diskussion gestellt und gleichzeitig ihre jeweiligen Positionen und Bedürfnisse respektiert hätten? David formuliert seine Vorschläge als Anmerkung oder Ergänzung ohne den Anspruch auf die bessere Lösung, um seinen Chef nicht zu brüskieren. Ludwigs Bedürfnis nach Anerkennung seiner Autorität ist damit Rechnung getragen. Ludwig hört David ruhig zu, bedankt sich für den Vorschlag und würdigt damit Davids Position als Experte. Dann hätte das Team gemeinsam das Für und Wider der Lösungsentwürfe besprochen und die Ideen kombiniert. Das Ergebnis ist dann unabhängig davon, welchem Lösungsansatz es näher kommt, eine gemeinsame Lösung. Ludwig wird schließlich verkünden: "Gut Leute, so machen wir's. Danke für die fruchtbare Diskussion." Er bleibt Entscheider und Macher.

Der Charme dieses alternativen Szenarios liegt auf der Hand. Keiner verliert sein Gesicht, und die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass sich nicht nur eine bessere Lösung findet, sondern auch jeder den gefundenen Konsens aktiv mitträgt. Happy-End statt kriegerischem Endzeit-Szenario - wenn das keine Alternative ist!

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Ich freue mich auf Ihre Denkanstöße unter denkanstoss@microconsult.de .

Peter Siwon


Quellenverzeichnis:

Fisher, R./ Ury, W./ Patton, B.: Das Harvardkonzept, Campus Verlag Frankfurt, 2006
Schranner, Matthias: Verhandeln im Grenzbereich, Econ Verlag, 2010
Siwon, Peter: Die menschliche Seite des Projekterfolgs, dpunkt.verlag, 2010
Prior, Manfred: MinMax-Interventionen, Carl-Auer Verlag Heidelberg, 2009
Birkenbihl, Vera F.: Psycho-Logisch richtig verhandeln,
mvgverlag, 2011

 

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