Denkanstöße 21 - Mehr Leistung für mehr Geld?
Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie helfen einem guten Bekannten beim Umzug. Sie haben sich dafür extra einen halben Tag freigenommen. Sie schuften wie ein Pferd, doch es sieht so aus, als ob der Umzug in der vorgesehenen Zeit nicht zu schaffen ist. Nun eröffnet Ihnen Ihr Bekannter mit großzügiger Geste, dass er Ihnen 20€ gibt, wenn Sie schneller arbeiten. Wie würden Sie reagieren? Welches Gefühl entsteht bei diesem Angebot?
Das Gedankenexperiment macht einige Zusammenhänge sichtbar. Die sicherlich gut gemeinte Belohnung birgt die große Gefahr, dass sie mehr als Vorwurf denn als Motivation gesehen wird. Gedanken wie "Der meint wohl, dass ich nur für Geld richtig zupacke" oder "Der sieht wohl nicht, dass ich schon mein Bestes gebe" drängen sich schnell auf. Außerdem provoziert die angebotene Belohnung sofort eine Abwägung von Aufwand und Nutzen. Sie hätten in derselben Zeit mit weniger Schweiß ein Vielfaches verdient, wenn Sie ins Büro gegangen wären. Zudem sind immaterielle Leistungen, wie hohes Engagement und Loyalität, praktisch unbezahlbar. Durch den Versuch einer Bezahlung wird ein Ausgleich von Geben und Nehmen auf die materielle Ebene verschoben. Dies führt meist zum Abbau immaterieller Leistungsbereitschaft.
Wird eine Belohnung angeboten, obwohl die Grenze des Zumutbaren erreicht oder gar überschritten ist, dann leistet sie dem Gefühl Vorschub, dass die Anstrengungen nicht gesehen oder anerkannt werden. So kann eine Belohnung als versteckte Drohung oder Vorwurf wirken. Diese Gefahr ist bei Projekten groß, die Teams an ihre Leistungsgrenze bringen.
Der Wunsch, immaterielle Leistungen wie Loyalität, Engagement oder Kreativität durch materielle Anreize zu motivieren, kann dazu führen, dass diese Tugenden einer nüchternen Kosten-Nutzen-Abwägung zum Opfer fallen. So werden bisher kostenlos verfügbare Ressourcen künftig als Leistung gesehen, die gefälligst zu bezahlen ist. Wissen Sie, was Loyalität oder Kreativität wert ist? Das kann teuer werden! Und es drohen langfristige Nachteile, weil die Rückkehr zum immateriellen Austausch schwer ist, wenn dieser Schritt der materiellen Aufrechnung einmal vollzogen wurde. Die dadurch angestoßene Veränderung des Denkens gleicht der von Kindern, die erfahren, dass nicht das Christkind sondern die Eltern die Geschenke unter den Christbaum legen. Der Wert des mystischen Zaubers ist unwiederbringlich verloren.
Es ist empfehlenswert, den Ausgleich auf gleicher Ebene zu suchen, um diesem Dilemma zu entgehen. Beispielsweise können Vorgesetzte die Loyalität ihrer Mitarbeiter dadurch erwidern, dass auch sie loyal sind, indem sie ihnen Rückendeckung, Schutz, Respekt oder ungeteilte Aufmerksamkeit angedeihen lassen.
Der Versuch, möglichst billig davonzukommen, indem man eine Belohnung bietet, die in den Augen des Empfängers unangemessen oder gar beleidigend wirkt, wird besonders hart bestraft. Er führt in der Regel dazu, dass die Leistungsbereitschaft sogar unter das Niveau sinkt, das ohne Belohnung zu erwarten ist. Ein typischer Fall von Fehlinvestition.
So ärgert sich ein Restaurantbediensteter in der Regel über ein unangemessen niedriges Trinkgeld. Ein Lob ohne Trinkgeld ist da noch akzeptabler. Auch wenn es rechnerisch irrational erscheint: Die meisten Menschen arbeiten lieber unentgeltlich oder ehrenamtlich als für eine unangemessene Bezahlung. Der Psychologe Dan Ariely beispielsweise hat diese Zusammenhänge nachgewiesen und in seinem Buch "Denken hilft zwar, nützt aber nichts" beschrieben.
Schließlich wird der subjektiv empfundene Handlungsspielraum durch die Fremdsteuerung über eine Belohnung eingeschränkt. Mit einem Mal ist es nicht mehr der eigene Wille zum Erfolg, der die Taten treibt. Die Folge: Eine Abwehrreaktion auf die Einschränkung persönlicher Spielräume, die dazu führt, dass die Bereitschaft zur Eigeninitiative sinkt oder die so "motivierten" Aufgaben einen gewissen Widerwillen hervorrufen.
Manche Belohnungen lohnen sich einfach nicht. Wie sich Belohnungen lohnen, erfahren Sie in den 7 Tipps zum Thema Belohnung (hier anfordern!)
Ich freue mich über Ihre Denkanstöße unter denkanstoss@microconsult.de.
Peter Siwon