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Bonjour PLC, parlez-vous IT?

Autor: Dr. René Graf, Siemens AG

Beitrag - Embedded Software Engineering Kongress 2017

 

Dieser Artikel beschreibt die Kombination von IT und OT zur Realisierung dynamisch konfigurierbarer Fertigungsanlagen. Dabei behält die OT-Welt ihren zur Steuerung physikalischer Prozesse notwendigen Determinismus, während überlagerte IT-Mechanismen die Dynamik des Produktionsprozesses realisieren.

Einleitung

Die klassische Fabrik-Automatisierung wird als Operational Technology (OT) bezeichnet und beruht weitgehend auf völlig anderen Mechanismen und Protokollen als die Information Technology (IT), die in Rechenzentren zum Einsatz kommt. Auf den ersten Blick wirken die jeweiligen Paradigmen eher unvereinbar, aber der Trend zur umfassenden Vernetzung industrieller Anlagen betrifft beide Welten.

In einer modernen, flexiblen Fertigung schwinden aber diese Unterschiede, weil beide Technologien verschmelzen, wobei die Vorteile der jeweiligen Welt erhalten bleiben sollen.

Unterschiede IT und OT

Die IT in Rechenzentren (s. PDF, Abbildung 1) ist geprägt von vielen Rechenknoten (19" Racks) auf engem Raum, die alle untereinander vernetzt sind, so dass Aufgaben nahezu beliebig auf den vorhandenen Instanzen verteilt werden können.

Die Netzwerke sind hochdynamisch organisiert, da bei einer so großen Anzahl an Rechnern durchschnittlich einer pro Woche ausfällt und ersetzt werden muss. Dementsprechend ist auch die Software-Struktur hochdynamisch, damit der Ausfall einer Hardware keinen unmittelbaren Ausfall der Software zur Folge hat.

Die OT findet sich hingegen in kleinen Schaltschränken wieder, die in einer großen Anlage verteilt sind. Neben Recheneinheiten sind in diesen Schränken auch elektrische Komponenten verbaut wie in Abbildung 2 (s. PDF) zu sehen ist. Die Recheneinheiten wiederum sind in der Regel keine Standard-Rechner mit gängigen Betriebssystemen sondern spezielle Automatisierungsrechner, genannt SPS (Speicher Programmierbare Steuerung).

Das Netzwerk innerhalb eines Schaltschranks ist vollkommen statisch und in der Regel manuell konfiguriert. Sind in einer großen Anlage mehrere Schaltschränke vorhanden, sind auch die Netzwerk- und Kommunikationsverbindungen zwischen diesen bzw. zwischen den Geräten darin vollkommen statisch definiert.

Gängige Protokolle der IT finden nur langsam den Weg in den Schaltschrank. Seit einigen Jahren ist ein Web-Zugang (http bzw. https) in den Steuerungen vorhanden. Der aktuelle Trend geht zu dem Protokoll OPC-UA, das neben dem reinen Datentransport auch die Möglichkeit der Informationsmodellierung bietet. Dennoch erzwingt auch OPC-UA keine Änderung an der statischen Netzwerktopologie.

Flexible Produktionsanlagen

Diese Anforderung kommt immer stärker mit dem Trend zu flexiblen und modularen Produktionsanlagen, wobei es zwei Anwendungsfälle zu unterscheiden gibt, die wiederum unterschiedliche Aspekte mit sich bringen:

  1. Verschiedene Produkte: Auf einer Produktionslinie sollen verschiedene Produkte gefertigt werden, so dass die verschiedenen Bearbeitungsmodule je nach Produkt neu angeordnet werden. Der Aufbau der Anlage ist somit quasi-statisch, da die Anlage nicht ständig umgebaut wird. 
  2. Flexibles Produkt: Ein Produkt, beispielsweise ein Auto, kann vom Kunden sehr flexibel konfiguriert werden, so dass sich theoretisch schnell 100.000 und mehr verschiedene Kombinationen ergeben. Dabei kann die ursprüngliche Produktionsplanung mangelhaft sein, so dass ein Engpass für eine bestimmte Konfigurationsoption entsteht, der die gesamte Produktion verlangsamt. In diesem Fall muss die Konfiguration der Anlage im laufenden Betrieb verändert werden.

In beiden Fällen müssen die Module reagieren, da sich ihre Kommunikationsbeziehungen verändern. Den üblichen OT-Mechanismen fehlt diese Dynamik, den üblichen IT-Mechanismen fehlt wiederum die Kopplung an die physische Welt des Produktionsprozesses, da sie für die reine Manipulation von Daten ausgelegt sind.

Anlagen- und Netzwerkkonzept

Daher ist eine sinnvolle Kombination der Mechanismen aus beiden Welten der richtige Weg, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Dazu wird die Anlage in zwei wesentliche Teile unterteilt, nämlich das zentrale Transport- und Infrastruktur-System (TIS) und die Fertigungsmodule (FM), die die dort beförderten Objekte manipulieren.

Das TIS ist sowohl für den Transport der Produkte zwischen den Stationen zuständig als auch für die Versorgung der angeschlossenen FM mit Energie, Druckluft und Netzwerk.

Die FM hingegen sind auf den Anschluss an das TIS und dessen Netzwerk angewiesen. Dieses wird aber durch eine Netzwerkkomponente von dem inneren Netzwerk des FM getrennt, das voll und ganz den OT-Mechanismen genügt.

Die im Weiteren verwendeten Siemens-Produktnamen sind nur zur einfacheren Identifikation der Geräte in den Abbildungen gedacht. Die jeweils beschriebene Funktionalität und Aufgabe in dem zugeordneten System ist auch mit äquivalenten Geräten anderer Hersteller ohne Einschränkungen realisierbar.

Struktur des Zentralsystems

Abbildung 3 (s. PDF) zeigt den schematischen Aufbau des Netzwerkes des zentralen Systems mit einer SPS (S7-1500) und entsprechender Peripherie (ET200) zur Steuerung des Transport-Systems (z.B. Förderband) sowie RFID-Lesegeräte (RF180C) zur Identifikation der Wagen. Die lokale Bedienung erfolgt über ein Panel (IPC277E), die Ablaufsteuerung des Produktionsprozesses über ein MES (Manufacturing Execution System), das aber nicht Teil dieser Beschreibung ist.

Das grüne Netzwerk ist vollkommen statisch und als Protokoll wird Profinet verwendet.

Das rote Netz ist teilweise statisch und teilweise dynamisch aufgebaut. Die typischen Automatisierungskomponenten (SPS und Panel) haben statische IP-Adressen, ebenso der Anlagen-Server (IPC427D) und der Anlagen-Switch (XM416-4C), während die FM an den weiteren Switch-Ports dynamische IP-Adressen bekommen.

Die zentrale Instanz ist hierfür der Anlagen-Server, auf dem sowohl die IT-typischen Netzwerk-Dienste DHCP und DNS laufen als auch ein OPC-UA-Server, der die aktuelle Anlagenkonfiguration bereitstellt.

Struktur der Fertigungsmodule

Das FM hat im Inneren sowohl ein Profinet (grün) für Peripherie als auch ein Modulnetz (lila)  für alle anderen Komponenten, die beide vollkommen statisch aufgebaut sind.

Nach außen werden diese Netzwerke über den Security-Switch (S615) verborgen, der nur ganz bestimmte Dienste durchlässt und die Anfragen an die internen Geräte weiterleitet. Konkret sind dies OPC-UA an die SPS und VNC als Remote-Desktop an das Panel.

Hier zeigt sich der große Vorteil dieser Struktur, da die FM im Inneren auch vollkommen anders und mit Komponenten anderer Hersteller aufgebaut sein können, solange die Schnittstelle in Richtung TIS korrekt mit allen dort notwendigen Diensten bedient wird. (s. PDF, Abbildung 4)

Topologie-Erkennung

Neben der Tatsache, dass ein bestimmtes Fertigungsmodul in der Anlage prinzipiell verfügbar ist, muss aber dessen Position in der Anlage bestimmt werden, damit die Wagen mit den zu bearbeiteten Produkten zu der richtigen Station finden.

Dies erfolgt über den Anlagen-Switch (XM416-4C). Nachdem das FM an das TIS angeschlossen wurde, sendet es einen DHCP-Request und bekommt eine dynamische IP-Adresse. Des Weiteren wird der Switch gefragt, an welchem Port und somit an welcher Position des TIS das neue Modul angeschlossen wurde. Nachdem das FM per OPC-UA gefragt wurde, wer es ist und was es kann, werden alle Informationen im OPC-UA-Server des Anlagen-Servers dargestellt. Umgekehrt wird beim Trennen eines FM der entsprechende Eintrag wieder entfernt.

In Abbildung 5 (s. PDF) sind zwei FM an das TIS angeschlossen und werden per Namen an die der Topologie entsprechende Position im OPC-UA Informationsmodell des Anlagen-Servers eingetragen. Zu jedem FM stehen dort die weiteren Daten, die dem OPC-UA Companion Standard Device Integration genügen.

Beispiel Forschungsanlage

Die neue Forschungsanlage der Vorentwicklung der Division Digital Factory in Nürnberg ist exakt so aufgebaut wie oben beschrieben mit einem TIS und mehreren FM, die an beliebigen Stellen angeschlossen sein können oder auch nicht.

Abbildung 6 (s. PDF) zeigt die Struktur der Anlage mit dem zentralen Transportsystem, das an jeder möglichen Modulanschlussposition ein Nebengleis hat, damit dort Wagen mit Produkten für das Modul parken können, ohne den Transport insgesamt zu blockieren.

Soll ein Produkt gefertigt werden, fragt das MES zunächst beim Anlagen-Server des TIS nach, ob alle dazu notwendigen FM in der aktuellen Konfiguration verfügbar sind. Anschließend wird der Wagen mit dem wachsenden Produkt gezielt zu den aus der Topologie bestimmten Positionen gefahren und das jeweilige FM erledigt seinen Schritt des Produktionsprozesses.

Fazit

Über eine entsprechend konfigurierte Netzwerkkomponente lassen sich OT-konforme Fertigungsmodule dynamisch an eine nach IT-Maßstäben aufgebaute Zentralanlage anschließen und auch topologisch erfassen. Des Weiteren vereinfacht diese Methode den heterogenen Aufbau einer Anlage, da das Innenleben der Module nicht sichtbar wird und von verschiedenen Herstellern stammen kann.

Autor

Dr.-Ing. René Graf hat an der Universität Karlsruhe Physik studiert und am Institut für Robotik der Fakultät Informatik im Jahr 2000 promoviert. Bei Siemens war er zunächst acht Jahre an der Entwicklung verschiedener Generationen der Steuerung Simatic S7 SPS beteiligt. Als Principal Key Expert bei der Vorfeldentwicklung der Division DF (Digital Factory) befasst er sich mit der Architektur industrieller Steuerungen sowie deren Einbindung in moderne Anlagen- und Netzwerkstrukturen. Im Jahr 2013 wurde Dr. René Graf als "Siemens Erfinder des Jahres" ausgezeichnet.

 

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