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Denkanstöße 46 - Führen durch Prozess- und Kommunikationskompetenz

Es mag Zeiten gegeben haben, wo Chefs (die hießen damals Könige, Patriarchen oder Diktatoren) zu wissen glaubten, was das Beste für ihre Untergebenen ist. Das geschah dank gottgegebener Privilegien mit einer ordentlichen Portion Eigennutz. Die Untergebenen kannten es schlichtweg nicht anders oder trauten sich nicht aufzumucken. Metaphern wie die vom wissenden und behütenden Hirten und seinen folgsamen (und doofen) Schafen gaben diesem Abhängigkeitsverhältnis eine romantisch anmutende Attitüde. Was gerne unterschlagen wurde: Schafe, die nicht funktionierten, wurden geschlachtet.

Dieses Bild von Führungsarbeit spukt leider noch immer in einigen Köpfen herum. Elitäre Kreise nähren gerne die Mär vom omnipotenten Superchef. Wie sonst lassen sich exorbitante Managergehälter plausibel machen? Dieses Klischee wird durch die Filmindustrie weiter genährt: Letztlich reicht ein starker Mann, um die Welt zu retten, alle anderen sind Statisten. Man beachte dabei auch die stark männliche, testosterongesättigte Perspektive auf Führung.

Vom Hirten zum Moderator und Coach

Doch Projektleiterinnen und Projektleiter hüten keine Schafe, sondern arbeiten in der Regel mit hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Projekte sind keine Landschaft, durch die ein erfahrener Hirte mit seinem Hund gelassen und entspannt seine Herde treibt, sondern ein Dschungel vielfältiger, oft unvorhersehbarer Aufgaben, Abhängigkeiten und Ereignisse. Die Realität des Projektgeschäfts hinterlässt sehr schnell Kratzer am Lack vermeintlicher Superhelden.

Um das Superhelden-Image trotzdem zumindest so lange aufrechtzuerhalten, bis ein Sprung auf der Karriereleiter die Entlarvung verhindert, gibt es einige gern angewandte Strategien: Tarnen und Täuschen nach oben und Schafzucht nach unten. Das kann es ja wohl nicht sein!

Doch es gibt einen Weg, erfolgreich zu führen, ohne sich dem unrealistischen Druck auszusetzen, für jede Frage eine Antwort und für jedes Problem eine Lösung haben zu müssen. Dieser Weg erfordert möglicherweise einen Paradigmenwechsel in der Führungshaltung:

Führung – oder in unserem Fall Projektleitung – besteht weniger darin, Antworten und Lösungen vom erhöhten Thron des Allwissenden auf huldvoll buckelnde Untergebene herabregnen zu lassen. Sie konzentriert sich vielmehr darauf, Entscheidungs- und Lösungsprozesse im Sinne unternehmerischer Ziele zu gestalten und zu begleiten.

Es handelt sich also eher um Moderation oder Coaching von Prozessen. So können Sie Ihrer leitenden Funktion auch gerecht werden, wenn Sie keine Lösung aus dem Hut zaubern können. Genau genommen werden Sie der Rolle einer Führungskraft für hochqualifizierte Mitarbeiter viel besser gerecht, wenn Sie den Prozess steuern, anstatt fertige Lösungen vorzugeben. Denn diese Strategie bietet erhebliche Vorteile:

  • Sie befreien sich von dem Druck des Superhelden, der auch gerne mal von genervten Kollegen entzaubert wird.
  • Sie reduzieren die Gefahr von Fehlentscheidungen, weil Sie die Gefahr blinder Flecken und einseitiger Sichtweisen reduzieren.
  • Sie erhöhen die Chance, Lösungen zu finden, die Sie vielleicht selbst nicht auf dem Schirm hatten. Besonders interessant in diesem Zusammenhang sind Lösungen, die keiner der Beteiligten ohne den Beitrag der anderen gefunden hätte.
  • Sie erkennen, entwickeln und nutzen die Potentiale Ihrer Mitarbeiter.
  • Sie entwickeln das Problem- und Verantwortungsbewusstsein Ihrer Mitarbeiter, indem Sie sie in den Lösungs- und Entscheidungsprozess einbinden.
  • Sie zeigen aktiv Ihre Wertschätzung für Ihre Mitarbeiter, indem Sie ihnen zeigen, welche Bedeutung ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Fähigkeiten für den gemeinsamen Erfolg haben.
  • Intensive Zusammenarbeit stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Der Projektleiter bleibt 100% verantwortlich

Neben den positiven Effekten für die Lösungsfindung darf die motivierende Wirkung dieser Art zu führen nicht unterschätzt werden. Aktive Mitwirkung bei der Entwicklung eines Lösungsweges erhöht die Bereitschaft zu engagierter Beteiligung an der Umsetzung.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die Projektverantwortung bleibt weiterhin 100% bei der Projektleitung!  Wer meint, er könne sich hinter dem Team verstecken, weil er es stärker in Lösungsprozesse und Entscheidungen einbindet, ist schief gewickelt. Es heißt auch nicht, dass sich die Projektleitung fachlich heraushalten soll, sondern nur, dass sie dies nicht auf Kosten des Projekts sowie der Entwicklung und Motivation der Mitarbeiter tun sollte.

Durch die stärkere Verschiebung der Führungsarbeit von der fachlichen Beratung und Anweisung hin zu Prozessgestaltung, Prozesssteuerung, Prozessmoderation oder Prozesscoaching gewinnen die sogenannten Softskills erheblich an Bedeutung. Die Fähigkeit zur situations- und personengerechten Kommunikation ist wiederum DIE herausragende Schlüsselkompetenz, wenn es darum geht, Prozesse wie Delegieren, Teambildung, Konfliktlösung, Problemlösung, Entscheidungsfindung, Innovation oder Veränderung zum Erfolg zu begleiten.

Schlüsselkompetenz Kommunikation

Je nachdem, wann, wo und mit wem diese Prozesse durchlaufen werden, kommen die vielfältigen Methoden der Kommunikation, also das Wie, zum Einsatz: Fragetechniken, Visualisierung, Verhandlungsmethoden, Metaphern, Feedback, Perspektivenwechsel, um nur einige zu nennen. Wer auf der Klaviatur der Kommunikation virtuos und zielführend Prozesse begleitet, kann sehr gut mit fachlichen Lücken leben, die ohnehin unvermeidlich sind.

Die Vernachlässigung oder unprofessionelle Gestaltung der Prozessebene und der Kommunikation zugunsten fachlicher Detailaufgaben behindern nicht nur die Entfaltung des Teampotentials, sondern auch die Entwicklung der Führungskompetenz des Projektleiters.

Sie werden jetzt mit Recht sagen: In kleinen Teams oder Projekten muss der Projektleiter auch fachlich ran. Ja, Sie haben Recht. Allerdings sollte der Erfüllung der Projektleitungsrolle und damit der Prozessgestaltung, -steuerung und -optimierung der Vorrang eingeräumt werden.

Kommen wir zurück zu Hirten und Schafen. Ich glaube, diese Metapher hat in modernen Unternehmen ausgedient. Wer als Projektleiter der allwissende Hirte sein will, braucht sich nicht zu wundern, wenn er es bald nur noch mit Schafen zu tun hat. Ich weiß, ich tue den Schafen hier Unrecht, denn die sind nicht so doof, wie sie oft dargestellt werden.

Der Projektleiter ist Primus inter Pares (Erster unter Gleichen), wenn es um die kreative Gestaltung und erfolgreiche Umsetzung von Prozessen geht. Er verhilft gleichzeitig jedem im Projektteam dazu, sein volles Potenzial und damit seine eigene Primusrolle zu finden und zu entfalten.


Peter Siwon

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