Experience Embedded

Professionelle Schulungen, Beratung und Projektunterstützung

Erfolgreiche Teamstrukturen für Projekte mit langer Laufzeit

Autor: Christian Glatzel, Zodiac Cabin Controls GmbH

Beitrag - Embedded Software Engineering Kongress 2015

 

Dieser Vortrag vermittelt Ihnen einen Einblick in interdisziplinäre Teamstrukturen, die sich als erfolgreich herausgestellt haben, wenn ein Projektteam über mehrere Jahre zusammenarbeitet. Die Praxiserfahrungen beziehen sich auf Entwicklungsprogramme in der Luftfahrtindustrie inklusive der Interaktion mit Flugzeugherstellern wie Airbus, Boeing, Bombardier etc. Ziel ist es, Klarheit darüber zu erhalten, welche u.U. unerwarteten Faktoren ein Projekt vorantreiben oder zerstören können.

Dieser Vortrag ist weder ein Leitfaden für angewandte Psychologie noch eine neue Ausprägung einer Managementtechnik. Er vermittelt einen Blick außerhalb des eigenen Verantwortungshorizonts aus dem täglichen Entwicklungsleben eines Entwicklungsbetriebes in der Luftfahrtindustrie. Er wird das Verständnis für bestimmte Verhaltensmuster auf der sachlich-technischen wie auch menschlichen Ebene beleuchten und so einen Betrag leisten, dass das große Ganze einer Firma wieder in den Mittelpunkt rückt und nicht jeder für sich selbst mit Risikominimierung beschäftigt ist. Das im Folgenden Beschriebene ist aus einem Hintergrund von 30 Software-Ingenieuren aus 8 Nationen bzw. 135 Ingenieuren aus 16 Nationen entstanden.

In welchem Umfeld muss das Team "überleben"?

  • Was sind die Interessen des Kunden?
  • Was sind die Interessen des hauseigenen Managements?
  • Welche Strategie steckt hinter der Entwicklung?

Das berühmt-berüchtigte Dreieck "Gut - Günstig - Schnell" (man wählt 2 Eigenschaften und in der Konsequenz wird die 3. Eigenschaft sicherlich nicht eintreten) wird vielen bekannt sein (siehe Abb. 1, PDF).

An dieser Stelle müssen jedoch 3 Dreiecke (aus Kunden-, Management- und Strategiesicht) in Einklang gebracht werden, wobei zu bedenken ist, das dabei die gleiche Eigenschaft unterschiedlich gewertet werden kann. Wenn das hauseigene Management "günstig und schnell" benötigt, kann das im Sinne des Kunden auch "gut und günstig" bedeuten, weil unterschiedliche Erwartungshaltungen an die Zeitachse auftreten können. Eine ähnliche Situation lässt sich mit der Eigenschaft "günstig" erzeugen. Wenn etwas strategisch als "günstig" erscheint, kann es aus Kundensicht "gut und schnell" sein (siehe Abb. 2, PDF).

Nachdem Sie nun 3 Dreiecke in Einklang gebracht haben, sollten Sie sich bewusst machen, dass dieser Zustand nur einen bestimmten Zeitpunkt abbildet!  Gerade bei langen Projektlaufzeiten sollten Sie sich über die Konsequenzen einer Prioritätsverschiebung während der Projektlaufzeit im Klaren sein.

Es hat sich gezeigt, dass das "in-Kauf-nehmen" einer Eigenschaft immer nur aus den verbliebenen Eigenschaften möglich ist. Wenn ein Projekt "gut und günstig" startet (also nicht schnell ist) und nach einer gewissen Zeit eine Managemententscheidung "gut und schnell" fordert (in der Konsequenz nicht mehr günstig ist), wird das Ergebnis zwar "gut", ist aber weder "günstig" noch "schnell" (siehe Abb. 3, PDF).

Welche Personen können zusammen arbeiten?

  • Haben Sie einen Giftschrank?

Stellen Sie sich vor, Sie haben in ihrem Büro einen großen Schrank mit medizinischen Wirkstoffen. Diese können Sie beliebig auf Ihrem Experimentiertisch zusammenmischen. Je nachdem, wie glücklich Ihr Händchen war, haben Sie etwas Großartiges oder Fatales geschaffen. Jetzt ersetzen Sie die Medizin durch Ihre Mitarbeiter und den Experimentiertisch durch ein konkretes Projekt. Je nachdem, wie Sie Ihre Mitarbeiter in Teams gruppieren, werden die Teams und damit Sie selbst, gewinnen oder verlieren.

  • Können Sie moderieren?

Wenn Teammitglieder sich "ertragen", aber sich am liebsten aus dem Weg gehen wollen, können Sie durch Moderation noch ein erfolgreiches Team formen. Sorgen Sie für klare Spielregeln, die von allen als gerecht empfunden werden. Das Team muss seiner Umgebung und den Regeln vertrauen können, um eine perfekte Leistung zu liefern.

  • Was treibt eine Person an?

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum manche Menschen in einem Projekt arbeiten wollen? Sind die Menschen interessiert an der Technologie, am möglichen Markterfolg des Ergebnisses oder einfach nur an anderen Teammitgliedern? Die Interessen der Mitarbeiter sollten langfristig mit den Projektzielen übereinstimmen (Technologie oder Wirtschaftlichkeit).

  • Welche Personentypen sollten Sie zusammenbringen?

Achtung: Im folgenden Abschnitt muss sich ein Vorgesetzter ein Bild über seine Mitarbeiter machen! Dafür sollte er sie kennen! Und wenn sich das gemachte Bild als falsch herausstellt, sollte der Vorgesetzte sein Bild ändern!

Wenn Sie Projekte mit mehreren Jahren Laufzeit erfolgreich abwickeln wollen, reicht es nicht aus, Menschen mit dem erforderlichen Wissen zusammen in ein Team zu werfen. Wenn ein genialer Träumer in einem Team von leidenschaftlichen Mann-Stundenzählern agieren soll, wird der Träumer sehr wahrscheinlich scheitern. Er wird kein Vertrauen der Mann-Stundenzähler erhalten während er noch im Kopf, für sich allein, Möglichkeiten durchdenkt. Dann wird er durch "Mikromanagement" so eng überwacht, dass seine "perfekte Lösung" nicht entsteht und in der Folge nicht umgesetzt wird.

Wenn Sie die Welt in Träumer, Realisten und Kritiker unterteilen möchten, sollten Sie sich die Disney Strategie ansehen [1].

In unserer Firma, in der Luftfahrtindustrie, (lange Entwicklungszeit, viele Änderungen, kleinste Serienstückzahlen) hat es sich als gute Mischung herausgestellt, dass man wenige "Träumer" mit vielen "Machern" und einem Ansprechpartner nach außen (Schnittstelle zum Programm Management, Kunden, …) installiert. Die Kanalisation der Kommunikation hat dazu geführt, dass die Träumer weitgehend unter dem Radar des "Monitoring" agieren können und so das Projekt mit perfekten Lösungen beflügeln.

Ebenso sollten Sie beachten, welche Teamdynamik entsteht, wenn Sie mehrere Personen mit den gleichen "persönlichen Spezialkenntnissen" (Experten) in einem Team zusammenfassen.

Es haben sich viele Menschen schon Gedanken gemacht wieweit jemand sich innerhalb oder außerhalb seiner persönlichen "Komfortzone" bewegen muss, um möglichst produktiv zu sein. Diese Aussage sollte man meiner Meinung nach nicht verallgemeinern, denn ein Träumer braucht seine Komfortzone um geniale Ideen zu erarbeiten während andere Menschen unter etwas Druck perfekte, zielführende Lösungen erarbeiten.

Alles in Allem ist das Formen von Teams eine Frage von Vertrauen und Misstrauen. Beides kann kurzfristig produktiv sein. Langfristig ist Vertrauen, zumindest aus meiner Erfahrung heraus, deutlich zu bevorzugen.
Man sollte noch einmal an den Giftschrank denken: Die Chemie zwischen den Mitarbeitern muss stimmen, wenn man das Projekt nicht nur fertigstellen will, sondern auch die Mitarbeiter für Folgeprojekte gewinnen möchte.

Praxisbeispiele

  • Generelle Anmerkung

Flugzeugbau ist eine "spezielle" Branche. Es werden sehr hochpreisige Geräte mit Software in extrem kleiner Stückzahl (oft <1000 Stk. / p.a.) über einen sehr langen Zeitraum (20 + x Jahre) geliefert (z.B. im Vergleich zu Automotive). Durch die Anforderungen an die Nachverfolgbarkeit von Design Entscheidungen wie auch den produzierten Geräten entsteht eine große Anzahl an Dokumenten verschiedenster Art. Zusätzlich erfordert die Geräteentwicklung meist ein hohes Maß an internationaler Kommunikation auf technischer Ebene.

  • Europäisches Flugzeug

Warum denken wir schon alles zu wissen bevor wir etwas tun? 
"Wir Europäer haben hunderte Jahre Erfahrung und endlose Regalmeter mit Normen und Standards, also wissen wir schon bevor wir einen Unterlieferanten beauftragen, was er uns wie und mit welchen Details liefern muss."

Wenn man Leistung einkauft, sollte man die gelieferten Ergebnisse auch wertschätzen. Niemand hört es gern, wenn seine Arbeit als Kleinigkeit abgetan wird. Wenn der Lieferant etwas liefert, denkt er von sich, dass er als Experte auf einem Gebiet, ein gutes Ergebnis liefert – dann pauschal zu hören, dass der Kunde alles besser weiß, gehört nicht in den Katalog der vertrauensbildenden Maßnahmen. Um es jedoch klar zu sagen: Wenn jemand etwas Schlechtes liefert, muss man das natürlich thematisieren und eine Lösung finden. Wenn jemand etwas Gutes liefert, sollte man das auch wertschätzen. Sie sollten aufpassen, dass bei all den zu erfüllenden Normen der Sinn der Gesamtentwicklung erhalten bleibt. Es ist z.B. nur in seltenen Fällen eine gute Idee, eine Flugzeugtoilette so sicher zu entwickeln, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit geringer als der Absturz des gesamten Flugzeugs ist…

  • Nordamerikanisches Flugzeug

Warum machen wir alles sofort und denken erst später drüber nach? 
"Immer diese Europäer. Reden alles kaputt und schaffen nichts von Wert... Nur Papier. Wir (US-)Amerikaner wollen Resultate, Produkte die wir in den Händen halten können. Danach können wir aufschreiben, was wir uns ausgedacht haben."

Der Informationsverlust, der entsteht, wenn man Detaillösungen nur im elektrischen Design oder Source Code implementiert ohne entsprechende Dokumentation, wird spätestens beim Folgeprojekt zu offensichtlichen, aber leider manchmal auch sehr fatalen, tief versteckten Fehlern führen. Der Ansatz ist sehr gut geeignet, um schnell Prototypen zu erzeugen die ein bestimmtes Verhalten besitzen. Bedingt durch den schlechtenDokumentationsstand, sollte man den Prototypen jedoch „vernichten“ und ein Seriengerät basierend auf einem weißen Blatt neu aufsetzen. In dieser Art von Projekten können Sie Gefahr laufen, durch ein schnelles Agieren ein fundiertes Planen zu übersehen, was im Endeffekt zu einem hohen Aufwand an Nacharbeiten führt.

  • Asiatisches Flugzeug

Warum erfüllen wir die Normen und haben trotzdem Probleme?
"Irgendwas stimmt hier nicht. Wir haben alle Normen erfüllt und alle Unterlieferanten genau nach den offiziellen Fragekatalogen geprüft. Aber unser Flugzeug muss trotzdem überarbeitet werden und ist nicht gleich im ersten Versuch perfekt. Unser LEAN Management [2] muss noch besser werden, damit wir diese Probleme schnell beheben – Wir brauchen mehr Meetings und Reportings; Die tatsächliche Umsetzung wird zweitrangig."

In derartigen Projekten herrschen oft Misstrauen und Angst! Man misstraut, weil man Angst hat zu scheitern - z.B. durch eine Forderung "first time right" - verbunden mit einer Drohung für den Fehlerfall. Oft führt diese Einstellung zu perfekten Funktionsbeschreibungen und Interface-Dokumenten, jedoch ist das übergeordnete Zusammenspiel der Geräte nicht gewährleistet, da Anforderungen an Einzelgeräte immer zu einem gewissen Grad Modellbildung enthalten und dementsprechend eine vereinfachte Sicht auf die Realität bieten. Beispiel: Messen Sie eine Füllstandshöhe in einem Tank. Wenn Sie übersehen, dass die Flüssigkeit u.U. stark schwappen kann, ist Ihr Messergebnis unbrauchbar. In den Anforderungen des Sensors ist jedoch u.U. vergessen worden, die Umwelteinflüsse (z.B. mögliche G Vektoren) auf die Flüssigkeit zu definieren.

Wenn Sie eine perfekte Lösung nach allgemeinen Maßstäben erarbeitet haben und die Kommunikation bzgl. dieser Lösung nicht der sozialen und technischen Erwartungshaltung des Kunden entspricht, wird man sehr viel Zeit benötigen um dem Kunden diese Lösung zu verkaufen.

Sie brauchen Mitarbeiter, die sich in diese Kundenmentalität einfühlen können, weil es Ihrer persönlichen Arbeitsweise entspricht! Insbesondere der Ansprechpartner für den Kunden muss wissen, wie der Kunde sozial geprägt ist, damit die Firma ein perfekt auf den Kunden zugeschnittenes Produkt liefern kann.

Zusammenfassung

Es gibt nicht den perfekten, generellen Plan um ein Team aufzustellen. Sie sollten bei der Projektplanung eine gehörige Portion Zeit darauf verwenden, soziale Aspekte zu berücksichtigen – sowohl zwischen den Teammitgliedern als auch zu anderen Menschen mit denen das Team interagiert. Wenn Sie denken, dass in der heutigen Welt durch digitale soziale Netze ein Großteil der Menschen gleiche Wertvorstellungen und Ziele hat, sind Sie gehörig auf dem Holzweg.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Schnell-Gut-Günstig (siehe PDF)
Abb. 2 Schnell-Gut-Günstig gewichtet mit verschiedenen Sichtweisen (siehe PDF)
Abb. 3 Schnell-Gut-Günstig mit Zeitachse (siehe PDF)

Literatur- und Quellenverzeichnis

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Walt-Disney-Methode

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Lean_Management

 

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