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Denkanstöße 44: Was ist entscheidend bei Entscheidungen? - Gedanken über Macht und Verantwortung

Welche Eigenschaften zeichnen eine Entscheidung aus? Wann sind überhaupt Entscheidungen notwendig? Denken wir über diese Fragen anhand einer simplen Weggabelung im Wald nach, die sich auch sehr gut als Metapher für alle möglichen Entscheidungssituationen nutzen lässt, auch in Projekten. Der Weg teilt sich z.B. in drei Richtungen: links, rechts oder Mitte. Wenn wir wissen, wo wir hinwollen und dort ein Wegweiser steht, dann brauchen wir nicht zu entscheiden, vorausgesetzt wir können lesen. Der Wegweiser hat uns die Entscheidung freundlicherweise abgenommen. Wenn der Wegweiser fehlt, dann machen wir plausible Annahmen, z.B. in welcher Himmelsrichtung unser Ziel liegt. Dann entscheiden wir uns für den Weg, der in diese Richtung deutet.

Doch die erfahrenen Waldspaziergänger unter uns wissen, dass diese plausible Annahme keine Erfolgsgarantie liefert. So manche dieser Da-geht's-lang-Phantasien führt zu ungewollten und erstaunlich intensiven Geländeerkundungen. Ich will nicht abstreiten, dass wir dabei neue und interessante Entdeckungen machen, die den Makel der Fehlentscheidung verschleiern.

Denkanstoss-44

Entscheidungen verwandeln Unsicherheit und Stillstand
in Risiko und Handlungsfähigkeit
(Bild: foto art Elisabeth Wiesner)

Entscheidungen ersetzen Unsicherheit durch Risiko

Der entscheidende Unterschied zwischen Entscheiden und Wegweiser-folgen ist das Maß an Unsicherheit. Beim Wegweiser ist sie praktisch null, wenn nicht irgendein Scherzkeks sich daran zu schaffen gemacht hat. Bei der Entscheidung kann die Unsicherheit sehr hoch sein. Sie sehen: Unsicherheit ist eine notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung. Das Risiko einer Fehlentscheidung ist in jede Entscheidung quasi automatisch eingebaut. Wir können nicht entscheiden ohne ein Risiko einzugehen, denn gäbe es kein Risiko, wäre keine Entscheidung notwendig.

Dieser Zusammenhang wird, so logisch er ist, gerne übersehen. Der große Vorteil einer Entscheidung trotz des damit verbundenen Risikos ist, dass nun endlich gehandelt werden kann. Beispielsweise entscheiden wir uns rechts abzubiegen, statt ratlos an der Weggabelung zu verhungern (ok, ich gebe zu, dass ich hier etwas dramatisiere). Wenn wir irgendwann feststellen, dass der Weg ins Nirgendwo führt, kehren wir um und treffen eine neue Entscheidung auf Basis der neuen Erfahrung. Wer jetzt wieder rechts geht, ist natürlich extrem doof, aber die dümmste aller Varianten wäre, aus Angst vor Fehlern keine Entscheidung mehr zu treffen und letztlich doch an der Stelle zu verhungern. Wir haben immerhin noch 3 Varianten, die eine sinnvolle Alternative zum Hungertod darstellen: Mitte, links oder umkehren.

Kurz zusammengefasst: Ohne Entscheidungen kein Handeln, ohne Handeln keine neuen Erkenntnisse, ohne neue Erkenntnisse keine neuen Entscheidungsgrundlagen. Der Preis für diesen Nutzen einer Entscheidung ist das Risiko der Fehlentscheidung.

Personen, die eine Entscheidung herbeiführen können, sind demnach so etwas wie Verwandlungskünstler. Sie transformieren Unsicherheit in Handlungsfähigkeit, da durch die Entscheidung klarer wird ist, was zu tun ist. Gleichzeitig wird aus der Unsicherheit ein Risiko, denn die Entscheidung und die daraus erfolgten Handlungen können später als Fehler interpretiert werden.

Ich sage hier ganz bewusst "interpretiert", weil der Vorwurf der Fehlentscheidung nachträglich aufgrund von Informationen konstruiert wurde, die weder dem Entscheider noch dem Ankläger zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt waren. Nachher glauben viele (vor allem die, die sich gerne vor Entscheidungen drücken), dass sie in der Entscheidungssituation schlauer gewesen wären. Nachsatz: Aber sie können es nicht beweisen! 2. Nachsatz: Warum haben sie nicht alles getan, um eine Fehlentscheidung zu verhindern?

Jeder trägt auf seine Weise Verantwortung

Wer hat nun die Verantwortung für eine Entscheidung, welcher Weg einzuschlagen ist? Wenn es einen "Leithammel" gibt, der autoritär sagt wo es langgeht, ist die Verantwortung für Entscheidungen klar. Er bezahlt seine Entscheidungsmacht mit uneingeschränkter Verantwortlichkeit für das Schicksal der Gruppe. Die Gruppe trägt allerdings die Verantwortung dafür, dass sie dieser Führungsperson wie eine Herde Lämmer folgt. Das ist ja auch eine Entscheidung.

Die andere Möglichkeit besteht darin, dass sich eine Person mit der Gruppe berät, um dann die Entscheidung zu treffen. Die Verantwortung für die Entscheidung liegt nun bei ihr, die Verantwortung für die Entscheidungsgrundlage bei der ganzen Gruppe. Moderiert eine Person den Entscheidungsprozess, bis ein Konsens in der Gruppe gefunden ist, so übernimmt sie die Prozessverantwortung. Die Verantwortung für das Ergebnis liegt in diesem Fall bei der gesamten Gruppe.

Wie immer es auch laufen mag, die Verantwortung, ob und wie Entscheidungen fallen, liegt immer bei der gesamten Gruppe, solange eine realistische Wahlfreiheit für die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe besteht. Die einen tragen die Verantwortung für ihre Entscheidungen, die anderen die Verantwortung für ihr Nicht-entscheiden-müssen, Nicht-entscheiden-wollen oder Nicht-entscheiden-können. Alle Verantwortung loszuwerden ist also bei genauer Betrachtung in der Praxis sehr schwierig.

Macht ist die Fähigkeit, Sicherheit oder Unsicherheit zu erzeugen

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Macht? Die Macht einer Person über andere wächst in dem Maße, wie sie für diese Menschen Unsicherheit in Sicherheit verwandeln kann. Leider gilt auch das Umgekehrte. Ihre Firma hat die Macht, Ihre finanzielle Sicherheit zu verbessern, aber auch die Macht, Ihnen diese Sicherheit unter bestimmten Bedingungen wieder zu entziehen.

Auf unsere Wanderer bezogen bedeutet das, dass die Person mit der besten Ortskenntnis große Macht besitzt. Sie kann die Sicherheit von Entscheidungen erhöhen oder durch die Drohung, die Gruppe zu verlassen, hohe Unsicherheit erzeugen.

Oft wird Macht zu sehr mit Hierarchie in Verbindung gebracht. Die disziplinarische Macht in Unternehmen ist aber nur eine unter vielen. Wenn wir Macht als das Potential sehen, Unsicherheit in Sicherheit zu verwandeln, eröffnen sich viele Möglichkeiten der konstruktiven Machtausübung oder Einflussnahme: Transparenz, Klarheit und Verständnis schaffen, Entscheidungen treffen, Konflikte lösen, etc. Unglücklicherweise kommt auch die destruktive Variante, Sicherheit in Unsicherheit zu verwandeln, zum Einsatz: Intransparenz, Blockade und Intrigen. Mit wem würden Sie gerne Wandern gehen? Wem würden Sie Ihr Vertrauen und Ihr volles Engagement schenken?

Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt durch meine Überlegungen nicht die Lust am Wandern verdorben. Mein Tipp: Nehmen Sie sich eine eigene Karte und Ihren Kompass mit. Dann können Sie jederzeit selbst entscheiden, wie viel Macht Sie anderen über Ihr Schicksal überlassen wollen.

Ich überlasse es nun Ihrer Entscheidung und Verantwortung, diese Zusammenhänge auf Projekte, Arbeitsteams und Unternehmen zu übertragen. Natürlich tragen Sie dafür das volle Risiko. Ich bin ja nur ein einfacher Kolumnenschreiber.

Falls Sie sich für das Thema Entscheidungen und andere interessante Zusammenhänge in Projekten interessieren, schreiben Sie mir eine E-Mail mit dem Betreff "Motivation" an denkanstoss@microconsult.de.


Peter Siwon

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