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Weitergabe einer kompletten Linux-Distribution: Nicht so einfach wie gedacht

Autor: Dr. Carsten Emde, Open Source Automation Development Lab (OSADL) eG

Beitrag - Embedded Software Engineering Kongress 2017

 

Eine typische Situation beim Hersteller von Embedded-Systemen: Ein Kunde möchte ohne großen Aufwand den Linux-Kernel und das Rootfilesystem des erworbenen Embedded-Systems an seine Bedürfnisse anpassen sowie die erforderlichen zusätzlichen Programm-Bibliotheken und Programme herstellen. Für diesen Zweck bestellt er beim Hersteller ein komplett installiertes Linux-Entwicklungssystem mit Cross-Toolchain. Der Einfachheit halber installiert der Hersteller eine Standard-Linux-Distribution auf einem PC, spielt eigene  Zusatzsoftware auf und liefert alles zusammen an seinen Kunden aus. Entweder macht er sich keine Gedanken, ob es sich dabei um eine lizenzkonforme Weitergabe der enthaltenen Software handelt, oder er geht stillschweigend davon aus, dass die Lizenzpflichten vom Hersteller der Linux-Distribution zu erfüllen sind. Was muss man tun, damit alles mit rechten Dingen zugeht und kein Software-Autor bzw. Rechteinhaber am Inhalt der Linux-Distribution dem Hersteller einen Verstoß gegen seine Lizenzbedingungen vorwerfen kann?

Einführung in das Urheberrecht und dessen grundsätzliche Vorgaben

Das internationale Urheberrecht, dessen grundsätzliche Prinzipien in der Übereinkunft von Bern festgelegt sind, regelt den Schutz von Werken der Kunst und Literatur. Weil Software in der Regel genau wie zum Beispiel ein Roman aufgrund einer den Menschen vorbehaltenen individuellen Kreativität geschrieben wird, gehört Software zur Literatur und wird damit vom Urheberrecht geschützt. Dies bedeutet, dass zunächst der Urheber die ausschließlichen Nutzungsrechte an seinem Werk besitzt. Allerdings kann der Urheber diese Rechte veräußern, und im Falle einer angestellten Tätigkeit veräußert er die ausschließlichen Nutzungsrechte an seinen Werken seinem Arbeitgeber, ohne dass es einer expliziten Regelung bedarf. Die Autorenschaft kann und darf der Urheber allerdings nicht veräußern; er bleibt in dieser Hinsicht immer fest mit seinem Werk verbunden.

Wesentliche Bestandteile der ausschließlichen Nutzungsrechte an einem Werk betreffen dessen Kopieren und Verbreiten; denn dies ist vom Urheberrechtsgesetz allen anderen Personen untersagt. Will man trotzdem ein Werk wie zum Beispiel eine Software-Bibliothek kopieren und verbreiten und dabei nicht gegen das Urheberrechtsgesetz verstoßen, muss man sich an den Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte wenden und eine Erlaubnis aushandeln. Dies geschieht üblicherweise durch einen Lizenzvertrag, in dem die Nutzungsbedingungen geregelt werden. Dabei erhält der Rechteinhaber normalerweise eine Vergütung für die Gewährung von gewissen Kopier- und Verbreitungsrechten; es ist dem Rechteinhaber aber vollkommen freigestellt, beliebige andere Kompensationen zu wählen – natürlich nur, solange diese nicht gegen Gesetze des Landes verstoßen.

Urheberrecht und Open Source-Software

Software, die unter einer Open Source-Lizenz verbreitet wird, stellt wie jede andere Software ein von einem Menschen geschaffenes Werk dar, das urheberrechtlich geschützt wird und bei dem Kopieren und Verbreiten ohne den Erwerb einer geeigneten Lizenz untersagt sind. Der Lizenzvertrag von Open Source-Software unterscheidet sich nur insofern vom Lizenzvertrag proprietärer Software, als dass als Gegenleistung keine Zahlung fällig ist, sondern bestimmte Handlungen bei Weitergabe vorzunehmen sind. In der Regel bestehen diese vorzunehmenden Handlungen aus Informations-, Offenlegungs- und Lizenzierungspflichten. Während das Ausmaß und die Ausgestaltung dieser Pflichten bei verschiedenen Open Source-Lizenzen unterschiedlich geregelt sind, gilt für alle Lizenzen gleichermaßen, dass das Recht, die Software zu kopieren und zu verbreiten sofort erlischt, wenn mindestens eine der Lizenzpflichten nicht so erfüllt wird, wie es im Lizenzvertrag gefordert wird. Wenn zum Beispiel der Lizenzvertrag bei Verbreitung einer Open Source-Software nicht mitgeliefert wird, obwohl die Lizenz dies verlangt, begeht der Verbreiter einen Lizenzbruch genau wie ein Lizenznehmer einer proprietären Software einen Lizenzbruch begeht, wenn er die Lizenzgebühren nicht bezahlt.

Vom Urheberrecht vorgesehenen Sanktionierungen bei Verstößen

Wird ein durch das Urheberrecht geschütztes Werk kopiert und verbreitet, ohne dass dafür eine gültige Lizenz vorliegt, handelt es sich um einen Gesetzesverstoß, und es greifen die gesetzlich festgelegten Sanktionen. Der Urheber hat nun das Recht,

  • auf der sofortigen Einstellung der unrechtmäßigen Verbreitung seines Werks bzw. seiner Werke zu bestehen,
  • eine komplette Liste der Empfänger von unrechtmäßig hergestellten Kopien anzufordern,
  • die Information aller Empfänger von unrechtmäßig hergestellten Kopien zu verlangen und
  • die physikalische Zerstörung sämtlicher unrechtmäßig hergestellter Kopien per Gerichtsbeschluss zu veranlassen.

Der letztgenannte Punkt könnte bei Büchern, die eine nicht lizenzierte Kopie einer Abbildung enthalten, darin bestehen, die entsprechende Buchseite zu entfernen und zu zerstören bzw. wenn dies nicht vernünftig möglich ist, das gesamte Buch zu schreddern. Bei in einem EPROM abgelegter Software könnte es bedeuten, dass das EPROM unbrauchbar gemacht wird und ein Ersatz-EPROM ohne die unrechtmäßig kopierte Software eingesetzt wird.

Ausnahmen vom gesetzlich geregelten Verbot zu kopieren und zu verbreiten

Das Urheberrechtsgesetz wendet ein durchaus übliches Verfahren an, bestimmte Sonderfälle nicht zu übersehen, indem zunächst ein generelles Verbot ausgesprochen wird und dann Einzelfälle gestattet werden. Derartige gesetzliche Gestattungen des Urheberrechts betreffen das Kopieren und Verbreiten, das bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eines Produktes bzw. bei der Wahrnehmung anderswo geregelter Rechte notwendigerweise vorgenommen werden muss.

Notwendiges Kopieren bei bestimmungsgemäßer Nutzung

Ein Softwareprodukt, das auf einem Datenträger erworben wurde, muss in vielen Fällen zur Nutzung notwendigerweise auf das lokale Speichermedium eines Computers überspielt werden. Obwohl dies ein eigentlich untersagter Vorgang ist, greift hier die gesetzliche Gestattung. Wenn die Software dann – wiederum bestimmungsgemäß – ausgeführt wird, muss diese in der Regel in den Speicher des Computers kopiert werden, und es müssen danach Daten und Instruktionen in die Register des Prozessors geladen werden. Bei mehrfachem Daten- und Instruktions-Cache kommt es sogar zu vielfachen Kopiervorgängen, die aber alle gesetzlich gestattet sind, da das Softwareprodukt ansonsten nicht bestimmungsgemäß genutzt werden könnte.

Notwendiges Verbreiten bei Weiterveräußerung

Das Recht einen Gegenstand zu erwerben und diesen, wenn es gewünscht wird, weiter zu veräußern, stellt eine grundsätzliche Freiheit dar, die vom Urheberrecht nicht eingeschränkt werden kann. Insofern "erschöpft" sich das ausschließliche Verbreitungsrecht des Urhebers, wenn ein rechtmäßig lizenziertes Werk durch den Erwerber weiterveräußert wird. Allerdings macht dieser sogenannte "Erschöpfungsgrundsatz" des Urheberrechts Auflagen:

1. Das Werk muss beim Erwerb lizenzkonform weitergegeben worden sein.

2. Der Veräußerer darf keine Kopien hergestellt haben bzw. muss, falls er Kopien hergestellt haben sollte, diese unbrauchbar machen.

Anwendung der genannten gesetzlichen und vertraglichen Regelungen auf den Fall der Weitergabe einer kompletten Linux-Distribution

Wird eine Linux-Distribution vom Server des Herstellers einer Distribution heruntergeladen und auf einem lokalen Computer installiert, nimmt zunächst nur der Hersteller eine urheberrechtlich relevante Tätigkeit vor – nämlich dadurch, dass Software auf einem von ihm betriebenen Server kopiert und einem Anwender verfügbar gemacht wird wie in Abbildung 1 (s. PDF) gezeigt.

Bei der genannten Konstellation muss der Hersteller der Distribution sämtliche Lizenzpflichten erfüllen. Wenn die Lizenzen einiger der darin enthaltenen Softwarepakete zum Beispiel Offenlegungspflichten auferlegen, die darin bestehen, dass der komplette korrespondierende Quellcode auf einem üblicherweise zum Datentransfer verwendeten Medium auf Anfrage zum Selbstkostenpreis verfügbar gemacht werden muss, dann muss der Hersteller der Distribution eben diese Lizenzpflicht erfüllen. Der Anwender muss dagegen keine Lizenzpflichten erfüllen, solange er nicht seinerseits kopiert.

Was geschieht aber, wenn der Anwender das heruntergeladene Installations-Image auf CD oder DVD kopiert und dies an einen Interessenten weitergibt, ohne seine eigene Installation zu löschen? Dies ist in keinem Fall Bestandteil des bestimmungsgemäßen Gebrauchs und daher nicht durch eine gesetzliche Gestattung abgedeckt.

Wenn der Anwender nicht gegen Urheberrecht verstoßen will, benötigt er eine eigene Lizenz, mit der ihm Kopieren und Verbreiten gestattet wird. Eine solche Lizenz kann er jederzeit erwerben; denn die Urheber bieten dies jedermann an – eine wichtige Voraussetzung einer "Open Source"-Lizenz. Neben dem Gebot, dass die Lizenz nicht diskriminierend sein darf, gehört dazu, dass diese zeitlich nicht limitierend ist und keine Lizenzgebühren erhoben werden. Als Gegenleistung verpflichtet sich der Anwender aber nun, die Lizenzpflichten zu erfüllen. Bedenkt man aber, dass eine komplette Installation einer Linux-Distribution mindestens 5.000 Software-Pakete, nicht selten aber über 10.000 Software-Pakete beinhaltet, so ist kaum vorstellbar, dass der Anwender in der Lage ist, die einzelnen Pakete im Hinblick auf deren Lizenzpflichten zu untersuchen und diese dann lizenzkonform zu erfüllen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Lizenzpflichten nicht erfüllt werden und der Anwender gegen Urheberrecht verstößt. Infolgedessen können nun die vielen tausend Software-Entwickler, die Rechte an der unrechtmäßig kopierten Software haben, diese beim Anwender geltend machen (siehe PDF Abbildung 2).

Markenrechte

Neben den Urheberrechten der Software-Autoren, die beachtet werden müssen, sollte die Aufmerksamkeit auch den Markenrechten des Herstellers der Linux-Distribution gelten. Diese betreffen die markenmäßige Verwendung des Namens und der Logos der Distribution. Die reine informative Nennung des Namens ist zwar meistens unbedenklich; aber wenn Name oder Logo in einem Zusammenhang erscheinen, dass die bekannte gute Reputation der Distribution eine Rolle spielt, dann kann dies der Markeninhaber untersagen. Daher gestatten praktisch alle Distributionen die Verwendung von Namen und Logo der Distribution nur dann, wenn die Distribution unverändert weitergegeben wird. Bereits die zusätzliche Installation von normalerweise nicht vorhandener Software, die das Potenzial hat, das Verhalten der ursprünglichen Distribution zu verändern, führt dazu, dass es sich nicht mehr um die Weitergabe einer unveränderten Distribution handelt. In diesem Fall müssten, um einen Verstoß gegen das Markenrecht zu vermeiden, jegliche markenmäßig verwendeten Wort- oder Bildmarken vor der Weitergabe aus der Distribution entfernt werden. Es ist leicht einsichtig, dass dies einen außerordentlich großen Aufwand erfordert, der normalerweise nicht zu leisten ist.

Praktisches Beispiel für lizenzkonforme Weitergabe einer kompletten Linux-Distribution

Für das Markenrecht gilt wie oben gesagt, dass die Lizenz der Hersteller von Distributionen nur die Weitergabe einer unveränderten Distribution zulässt, und für das Urheberrecht gilt, dass die Distribution vom Hersteller der Distribution und nicht vom Anwender kopiert werden muss. Daraus folgt, dass es durchaus möglich ist, eine komplette Linux-Distribution weiterzugeben, wenn diese einzeln auf einem Datenträger vom Distributor erworben und vom Erwerber unverändert weitergegeben wird, ohne dass letzterer eine Kopie zurückbehält. Denn dann tritt die urheberrechtlich vorgesehene Erschöpfung der ausschließlichen Verbreitungsrechte der Urheber ein, so dass der Hersteller der Distribution die Lizenzpflichten erfüllen muss, und es liegt die Zustimmung zur Nutzung seiner Markenrechte vor. Es ergibt sich also das in Abbildung 3 (s. PDF) gezeigte Szenario.

Wenn dem Empfänger noch weitere Software verfügbar gemacht werden soll, die einen Computer mit installierter Linux-Distribution voraussetzt, wie zum Beispiel ein Board Support Package für ein Embedded-System, das auch eine Toolchain für die Cross-Entwicklung beinhaltet, so sollte diese Zusatz-Software auf einem zweiten Datenträger ausgeliefert werden. In der Installationsanleitung sollte der Käufer dann informiert werden, in einem ersten Schritt die Linux-Distribution vom Original-Datenträger nach Anweisung des jeweiligen Herstellers zu installieren und danach in einem zweiten getrennten Schritt die Zusatz-Software aufzuspielen. Die Lizenzpflichten der Zusatz-Software müssen bei einer solchen Vorgehensweise natürlich vom Hersteller des zweiten Datenträgers erfüllt werden.

Autor

Carsten Emde blickt auf eine mehr als 25-jährige Tätigkeit als Software-Entwickler, System-Integrator und Trainer zurück. Seine Spezialgebiete sind graphische Bedienoberflächen, maschinelle Bilderkennung und Echtzeit-Betriebssysteme. Seit der Gründung der Open Source Automation Development Lab (OSADL) eG im Jahre 2005 ist er deren Geschäftsführer.

 

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