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Agile Rollen erfolgreich besetzen

Autoren: Remo Markgraf, MicroConsult GmbH und Alfred Ressenig, RealSkills

Beitrag - Embedded Software Engineering Kongress 2016

 

Dieser Beitrag stellt die agilen Rollen der agilen Entwicklungsmethode Scrum mit den spezifischen Aufgabenstellungen vor, zeichnet für jede Rolle ein fachliches und persönliches Kompetenzprofil und gibt Best Practice Empfehlungen für die Besetzung der Rollen. Es wird sowohl das traditionelle Szenario eines Projektleiters mit einem Entwicklungsteam als auch das Szenario mit einem zusätzlichen Produktmanager beleuchtet.

Zusammenfassung

Die agile Entwicklung ist in den letzten Jahren die bestimmende Methodik für die Herstellung technischer Produkte und Produktkomponenten in einer Vielzahl von Industriebereichen geworden. Mit etwas Verzögerung wird sie sich auch für die Entwicklung der Hardware- und Softwarekomponenten von Embedded Systeme endgültig durchsetzen.

Eine zentrale Herausforderung bei der Änderung der Entwicklungsmethodik ist, die Mitarbeiter eines Unternehmens für das Vorhaben zu gewinnen. Dies gilt vor allem für die Entwickler und Tester, da ein Großteil ihrer Arbeitsabläufe neu gestaltet wird.

Die Besetzung der agilen Rollen ist eine der Hürden und kann mit Systematik gemeistert werden. Bei Anwendung von Scrum als agile Methodik müssen drei spezifische Rollen besetzt werden. Die Rolle des Product Owners kann vom Projektleiter übernommen werden. Der Scrum Master wird aus dem Entwicklungsteam gestellt. Das Entwicklungsteam wird zum agilen Entwicklungsteam.

Anspruchsvoller ist die Situation, wenn das Unternehmen ein Produktmanagement einsetzt. Dieses soll ein strategisches und nachhaltiges Vorgehen bei komplexen Entwicklungsaufgaben sicherstellen, um das Unternehmen langfristig im Wettbewerb behaupten zu können. Da sich die Aufgabenbereiche eines Product Owners und eines Produktmanagers bei Managementthemen und strategischen Themen überschneiden, ist die Bereichsleitung gefordert, die Verantwortungen bestmöglich aufzuteilen.

1. Agile Entwicklung mit Scrum

Die populärste Methode der agilen Entwicklung ist Scrum. Vor ca. 10 Jahren begann der Erfolgslauf von Scrum in der Softwareprogrammierung. Nach und nach setzte sich diese Methodik auch in Entwicklungsprojekten anderer Branchen durch. Das folgende Bild (siehe Abbildung 1, PDF) veranschaulicht die grundsätzliche Funktionsweise.

Ziel von Scrum ist, potenziell auslieferbare Produktinkremente in kurzen Entwicklungszyklen (= Sprint) herzustellen. Alle Sprints haben die gleiche Dauer zwischen einer und vier Wochen. Der Product Backlog ist eine dynamische Liste von Anforderungen, die nach Priorität geordnet sind. Er dient als Input für die Aufgabenstellungen der Sprints.

Eine erweiterte Einführung in Scrum bietet der Scrum Guide, http://www.scrumguides.org.

2. Rollen der agilen Entwicklung

Eine Rolle wird durch einen Aufgabenbereich gekennzeichnet. Sie darf nicht mit einer Funktion oder einem Titel verwechselt werden. Eine Person übernimmt einen Aufgabenbereich und nimmt damit die dazugehörige Rolle ein. Beispielsweise kann ein Geschäftsführer eines Unternehmens vertriebliche Aufgaben bei einem Kundenbesuch wahrnehmen und damit die Vertriebsrolle einnehmen.

Scrum unterscheidet drei grundlegende Rollen, die ein Scrum Team bilden:

  • Product Owner
  • Scrum Master
  • Entwicklungsteam

2.1 Agile Rollen des Product Owners

Der Product Owner ist für die Wertmaximierung des Produkts und der Arbeit des Entwicklungsteams verantwortlich. Für Embedded Systeme empfehlen wir, die Rolle des Product Owners in eine strategische und eine operative Rolle zu unterteilen, da sie unterschiedliche Kompetenzprofile besitzen.

Strategischer Product Owner

Der strategische Product Owner ist für die Entwicklungsaufgabe gegenüber dem Auftraggeber verantwortlich. Er bestimmt den Umfang und den Inhalt der Entwicklungsaufgabe durch Bereitstellen von Epics (= grobe Beschreibung einer Anforderung) inklusive der Prioritäten.

Aufgabenbereich:

  • Versionsplanung und Pflege der Roadmap
  • Anforderungsmanagement mit Zuweisung von Prioritäten
  • Bereitstellen von Epics für den Product Backlog
  • Life Cycle-Management (insbesondere Markteintritt und Abkündigung)
  • Changen- und Risikomanagement
  • Verwaltung des Budgets
  • Schnittstelle zur Geschäftsführung, Vertrieb und Kunden

 

Anmerkung: Der Aufgabenbereich ist exemplarisch angegeben. Er kann je nach Organisation und Einzelperson stark variieren, beispielsweise bei Einsatz eines Produktmanagements.

Operative Product Owner

Der operative Product Owner ist für die Entwicklungsaufgabe gegenüber dem strategischen Product Owner verantwortlich. Er verfeinert den Product Backlog von Epic-Ebene auf Item-Ebene.

Aufgabenbereich:

  • Pflege des Product Backlos inkl. Priorisierung der Anforderungen
  • Vertritt die Auftraggeberseite in Richtung Entwicklungsteam
  • Führt Reporting durch (Burndown, Velocity)
  • Hat Überblick über Ressourceneinsatz (Verfügbarkeit des Teams, Urlaub, Kompetenzaufbau, Integration neuer Entwickler etc.)

 

2.2 Agile Rolle des Scrum Masters

Der Scrum Master ist für das Verständnis und die Durchführung von Scrum verantwortlich.

Aufgabenbereich:

  • Verantwortet die korrekte Anwendung des Scrum-Frameworks (u.a. schützt er das Entwicklungsteam vor unberechtigten Eingriffen während eines Sprints)
  • Moderator und Facilitator
  • Vermittler und Unterstützer
  • Beseitigt Hindernisse

 

2.3 Agile Rolle des Entwicklungsteams

Das Entwicklungsteam führt die eigentlichen Entwicklungsaufgaben in Eigenverantwortung durch. Es besteht aus drei bis neun Personen, die in Summe über die volle Kompetenz für die Entwicklungsaufgabe verfügen müssen. Eine Unterteilung der Rolle z.B. in Software-Entwickler, Hardware-Entwickler, Architekt, Tester etc. ist für das Verständnis dieses Beitrags nicht erforderlich.

Aufgabenbereich:

  • Anforderungen verfeinern und analysieren
  • Desing, Entwicklung, Test, Dokumentation

 

3. Agile Profile

In diesem Kapitel werden die fachlichen und persönlichen Kompetenzen der agilen Rollen näher betrachtet. Es werden nur Kompetenzen angegeben, die gefordert sind, im Gegensatz zu Kompetenzen, die unbedeutend sind.

In den folgenden Tabellen kennzeichnet das Pluszeichen (+) eine wichtige Kompetenz und das „o“-Zeichen eine neutrale Kompetenz. Die entscheidenden Kompetenzen sind mit drei Pluszeichen notiert.

3.1 Agiles Profil des Product Owners

Wie die Aufgabengebiete, so unterscheiden sich auch die Kompetenzprofile von einem strategischen und einem operativen Product Owner.

Fachliche Kompetenzen

Strategischer Product Owner

Operativer
Product Owner

Produktkenntnisse

++

+++

Scrum Funktionsweise und Methodik

++

+++

Produktmanagement

+++

+

Markt- und Wettbewerb

++

+

Betriebswirtschaft (Grundsätze)

++

++

Marketing, Sales

+

o


Tabelle 1: Fachliches Kompetenzprofil des Product Owners

 

 

Persönliche Kompetenzen

Strategischer Product Owner

Operativer
Product Owner

Unternehmerisches Denken und Handeln

+++

++

Überzeugungs- und Durchsetzungsstärke

++

+++

Kommunikationsstärke

++

+++

Organisationstalent

o

++

Gut im Präsentieren

++

++

Konfliktfähigkeit und Chaosresistenz

o

++


Tabelle 2: Persönliches Kompetenzprofil des Product Owners

 

3.2 Agiles Profil des Scrum Masters

Fachliche Kompetenzen

Scrum Master

Scrum Funktionsweise und Methodik

+++

Moderation

++

Produktkenntnisse

+


Tabelle 3: Fachliches Kompetenzprofil des Scrum Masters

 

Persönliche Kompetenzen

Scrum Master

Unternehmerisches Denken und Handeln

+

Überzeugungs- und Durchsetzungsstärke

++

Kommunikationsstärke

++

Organisationstalent

+

Gut im Präsentieren

o

Konfliktfähigkeit und Chaosresistenz

+


Tabelle 4: Persönliches Kompetenzprofil des Scrum Masters

 

3.3 Agiles Profil des Entwicklers

Fachliche Kompetenzen

Entwickler

Scrum Funktionsweise und Methodik

+++

Produktkenntnisse

+++

Technologiekenntnisse

+++

Entwicklungsverfahren

+++


Tabelle 5: Fachliches Kompetenzprofil des Entwicklers

 

Persönliche Kompetenzen

Entwickler

Teamplayer

+++

Flexibilität

++

Begeisterungsfähigkeit

++

Kommunikationsstärke

+


Tabelle 6: Persönliches Kompetenzprofil des Entwicklers

Best Practice Empfehlungen für die Besetzung der agilen Rollen

Traditionell wird die Entwicklung von Embedded Systemen von einem Projektleiter gesteuert. Größere Unternehmen setzen in der Schnittstelle zur Geschäftsführung gerne ein Produktmanagement ein beispielsweise für strategische Aufgabenstellungen bei einem Portfolio von Produkten.

Wenn operative Prozesse in einem Unternehmen so drastisch geändert werden wie beim Umstieg auf agile Methoden, besteht die Gefahr, dass es zu einer zeitlichen Unterbrechung beim Bedienen des Marktes kommt. Um dieses Risiko zu beherrschen, müssen vier Faktoren beachtet werden:

  • Ein Verantwortlicher wird für die Umstellung benannt, der Verfahren und Techniken des Change Managements anwendet.
  • Die neuen Prozesse müssen sorgfältig spezifiziert, bei Bedarf an Besonderheiten des Unternehmens angepasst und ausreichend geschult werden.
  • Die betroffenen Mitarbeiter müssen ins Boot geholt werden. Erfolgt die Umstellung durch Anordnung anstatt durch Überzeugung, ist das Gelingen des Vorhabens von Beginn an stark gefährdet.
  • Bei der Besetzung der neuen Rollen müssen fachliche und persönliche Fähigkeiten berücksichtigt werden. Die Kompetenzprofile von Kapitel 3 bieten dabei eine Hilfestellung. Schwachpunkte sollen durch Weiterbildungsmaßnahmen behoben werden.

    Im Folgenden betrachten wir zwei Szenarien für die Besetzung der agilen Rollen bei der Entwicklung von Embedded Systemen: Szenario 1 (siehe Abbildung 2, PDF) mit einem Projektleiter, der ein Entwicklungsteam steuert und Szenario 2 (siehe Abbildung 3, PDF) mit einem zusätzlichen Produktmanager.

 

4.1 Szenario 1: Projektleiter mit Entwicklungen

Traditionelle Arbeitsweise:

  • Der Projektleiter erhält eine Entwicklungsaufgabe z.B. vom Geschäftsführer und erhält die fachliche Verantwortung für ein Entwicklungsteam.
  • Der Projektleiter ist für die Einhaltung von Terminen verantwortlich, für die korrekte Umsetzung von Anforderungen, er vertritt den Auftraggeber gegenüber dem Entwicklungsteam, erklärt die Anforderungen, führt das Reporting durch, gibt Funktionen frei etc.
  • Der Projektleiter ist für die Klärung von Anforderungen verantwortlich und muss sicherstellen, dass diese im Sinne des Kunden korrekt verstanden sind.
  • Das Entwicklungsteam analysiert die Anforderungen, erarbeitet Lösungskonzepte, erstellt Lösungen, testet, integriert, konfiguriert, dokumentiert etc.

 

Die agile Arbeitsweise entspricht der Scrum-Definition. Die Aufgaben der einzelnen Rollen sind im Kapitel 2 erklärt.

Anmerkungen:

  • Der Product Owner übernimmt in diesem Szenario die strategische und operative Rolle, wie in Kapitel 2.1 beschrieben.
  • Die Tätigkeit des Scrum Masters wird häufig in Teilzeit ausgeführt. In diesem Fall kann der Scrum Master zusätzlich im Entwicklungsteam mitarbeiten. Er darf jedoch nicht gleichzeitig als Product Owner eingesetzt werden (Interessenskonflikte).

 

4.2 Szenario 2: Produktmanager und Projektleiter mit Entwicklungsteam

Traditionelle Arbeitsweise:

  • Der Produktmanager vergibt einen Projektauftrag an den Projektleiter.
  • Der Produktmanager ist für die strategischen Themen verantwortlich (welche Lösungen für welche Kunden, übergeordnete Zeitplanung, Roadmaps etc.).
  • Der Projektleiter übernimmt die fachliche Verantwortung für das Entwicklungsteam.
  • Der Projektleiter ist für die Einhaltung von Terminen verantwortlich, für die korrekte Umsetzung von Anforderungen, er vertritt den Auftraggeber gegenüber dem Entwicklungsteam, erklärt die Anforderungen, führt das Reporting durch, gibt Funktionen frei etc.
  • Das Entwicklungsteam analysiert die Anforderungen, erarbeitet Lösungskonzepte, erstellt Lösungen, testet, integriert, konfiguriert, dokumentiert etc.

 

Analog zu Szenario 1 entspricht die agile Arbeitsweise der Scrum-Definition.

Anmerkungen:

  • In der Praxis wird normalerweise nur ein Mitarbeiter als Product Owner benannt. Der Produktmanager behält auch in der agilen Entwicklung den Titel Produktmanager.
  • Wenn ein Produktmanager und ein Product Owner eingesetzt werden, kann der Product Owner auch Aufgaben der strategischen Rolle des Product Owners übernehmen zum Beispiel die Pflege der Roadmap, die Versionsplanung oder das  Bereitstellen von Epics. Klassische Produktmanagementaufgaben wie das Erstellen von Businessplänen oder Build-Partner-Buy-Entscheidungen verbleiben beim Produktmanager. Individuelle Stärken und Schwächen von Personen sollen bei der Zuteilung von Aufgaben berücksichtigt werden. Entscheidend ist, dass die Bereichsleitung für alle anstehenden Aufgaben einen Verantwortlichen benennt.
  • Die Tätigkeit des (operativen) Product Owners kann als Teilzeitjob angelegt sein. In diesem Fall kann der (operative) Product Owner zusätzlich im Entwicklungsteam mitarbeiten. Er darf jedoch nicht gleichzeitig als Scrum Master eingesetzt werden (Interessenskonflikte).

 

5. Ganzheitlich agil mit einem Produktmanagement

Alle technischen Produkte und Produktkomponenten benötigen ein Management. Die anstehenden Aufgaben sind das Management des Lebenszyklus, der Versionen, Anforderungen, Nachbesserungen, Konfigurationen etc. Zusätzlich gibt es strategische Themen zu behandeln wie das Erstellen und die Pflege von Produktstrategien oder das Betreuen eines Produktportfolios. In Summe ergibt dies einen komplexen und umfangreichen Aufgabenbereich, der in modernen, agilen Unternehmen von einem Product Owner und einem Produktmanager wahrgenommen wird.

Die zentrale Mission eines Produktmanagers ist, die Stimme des Kunden gegenüber der Produktentwicklung einzunehmen und sicherzustellen, dass das „richtige“ Produkt entwickelt wird. Die Vorteile des Produktmanagements sind vielfältig:

  • Der Product Owner wird bei strategischen Themen entlastet. Dadurch kann er sich mehr auf die operative Organisation und Betreuung der Entwicklungsarbeit konzentrieren.
  • Strategische Themen kommen nicht zu kurz. Diese Gefahr besteht, wenn ein Product Owner durch zu viele unterschiedliche Aufgaben überlastet ist.
  • Sie agieren strategisch anstatt nur taktisch zu reagieren. So können Sie sich nachhaltig im Wettbewerb behaupten.
  • Der Produktmanager kennt den Markt und den Wettbewerb. Neue Kundenbedürfnisse und Trends können umgehend in den Entwicklungszielen berücksichtigen werden.
  • Der Produktmanager liefert mit Businessplänen wirtschaftliche Rechtfertigungen für die Entwicklung von Komponenten oder komplexen Funktionen. Dies erleichtert die Priorisierung von geforderten funktionalen Verbesserungen.

 

Wie Kapitel 4 gezeigt hat, können traditionelle Entwicklungsformen systematisch in agile überführt werden. Seien Sie konsequent und machen es nicht halbherzig – gestalten Sie alle Ihre Entwicklungsprozesse „agil“. Für Software und für Hardware. Für Entwicklung und für Testen. Als ganzheitlich agiles Unternehmen profitieren Sie von allen Vorteilen dieser modernen Entwicklungsmethodik insbesondere von der signifikant höheren Wahrscheinlichkeit für das Gelingen Ihres Embedded Systems.

MicroConsult (https://www.microconsult.de/) und RealSkills (http://www.realskills.de/) haben sich auf Ausbildung, Weiterbildung und Beratung für Hersteller von Embedded Systemen spezialisiert. Sehr gerne unterstützen wir Sie mit Rat und Tat auf Ihrem Weg zum ganzheitlich agilen Unternehmen.

 

 

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